Sie sind unter uns: Editorial
Mal gelb, mal rot, gelegentlich auch schwarz oder weiß oder auch nahezu transparent und unsichtbar. Und sie sind überall: im Boden, am Strand, besonders im Meer, im Meeresgetier und wer weiß wo sonst noch. Sie haben es in Sandra Maischbergers Talkshow geschafft und in andere Magazinsendungen. Jede Fachzeitschrift, die etwas auf sich hält, berichtet darüber - so auch das ENTSORGA-Magazin.
(16.10.2018) Es geht um die unschönen und ubiquitären Plastikteilchen, die fast verharmlosend als ‚Mikroplastik‘ bezeichnet werden. 'Unser täglich Mikroplastik heute' schrieb unlängst ein genervter Fachkollege, der die zahlreichen Meldungen sichten musste. Auch wir widmeten uns in der letzten Ausgabe dem Thema, so auch in dieser, und auch in der kommenden Ausgabe werden wir über das leidige Thema berichten.
Schon seit Jahren wächst das Problem in allen Regionen - vom hintersten Himalaya über die Tropen bis in die Wüsten Afrikas. Die großen Ströme Asiens, allen voran der Mekong, sind zu Müllströmen geworden, die Tausende von Tonnen Plastik von Deponien, die ihren Namen nicht verdienen, ins Meer schwemmen. Aber bevor wir uns moralisch entrüsten, müssen wir zuerst den Blick auf Europa richten. In den Alpen werden die schmelzenden Gletscher verzweifelt mit weißen Vliesstoffen gegen die Sonnenstrahlung abgeschirmt. Die Maßnahme ist nicht nur sinnlos, sondern sie erzeugt durch Abrieb und Verschnitt auch jede Menge Mikroplastik, das mit dem Gletscherwasser zu Tal befördert wird. Andernorts werden, wie an der Schlei, Filtereinrichtungen außer Betrieb gesetzt, und plastikhaltiger Klärschlamm aus der Vergärung gelangt ins Ökosystem. Möge das Gletscherbeispiel vielleicht noch als menschlich-technische Unzulänglichkeit zu sehen sein, so stellt sich doch die Frage, wie dem Problem grundsätzlich beizukommen ist.
Die Antwort ist nicht einfach. Das kann sie auch nicht sein, denn moderne Kunststoffe sind aus der Industriegesellschaft nicht wegzudenken. Auf der anderen Seite gilt es, dem Verpackungswahn wirkungsvoll entgegenzuwirken. Appelle an die Vernunft in Richtung freiwilliger Verpackungsverzicht sind ehrenhaft aber wirkungslos, da die Verlockungen der Wegwerfgesellschaft einfach zu groß sind. Wer hat nicht schon mal genussvoll seinen 'Coffee to go' genossen und das Gefäß mit gutem Gewissen dann in den Müll geworfen? Schließlich ist doch das Wertstoffrecycling bei uns so weit perfektioniert, dass wir kein schlechtes Gewissen haben müssen. Auch nicht, wenn die Luftpolsterfolie im Baumarkt in Luftpolsterfolie verpackt wird.
Es bedarf mehrerer Ansätze. Vernunft und Verzicht beim Konsumenten sind sicher gute Ansätze, aber sie genügen nicht. Das System aus Sammlung, Sortierung und Verwertung muss endlich soweit optimiert werden, dass man von vernünftigen Recyclingquoten sprechen kann. Das fordern die Entsorgungsunternehmen und Verbände schon lange. Die Verpackungsnutzer müssen sich endlich ihrer Verantwortung bewusst werden, und - der Konsument mag es nicht gerne hören - es geht nicht ohne Druck von außen. Verpackungssteuer ist ein ungeliebtes Wort, aber man könnte es auch über die Mineralölsteuer versuchen und endlich die Rohstoffpreise - in diesem Fall den Ölpreis - so weit verteuern, dass die Schäden der Ölprodukte und des Konsums fossiler Brennstoffe eingepreist werden. Das fordern Wissenschaftler schon seit vielen Jahren und ist keine Idee grüner Öko-Utopisten. Dann endlich würde es sich lohnen, Verpackungskunststoffe messbar einzusparen. Und nebenbei würden sich auch die viel zu niedrigen Transportkosten an den Kosten orientieren, die durch Bau- und Umweltschäden jeden Tag aufs Neue verursacht werden.
Alles keine erfreulichen Perspektiven. Aber die Umweltverschmutzung lässt uns praktisch keine Wahl.
Martin Boeckh
Leitender Redakteur