Zur Europarechtswidrigkeit der deutschen Hindernis-Kumulation für Umweltklagen (Teil 1)

Die EU sieht sich dem eigenen Anspruch nach als Umweltvorreiter in der Welt. Dies setzt freilich ein Umweltrecht voraus, welches zunächst in der Papierform wirklich anspruchsvoll ist (schon daran bestehen trotz der Regelungsmasse oft erhebliche Zweifel) und welches auch real durchgesetzt wird. Letzteres hängt u.a. davon ab, inwieweit drohende Rechtsverstöße mit Erfolg gerichtlich geltend gemacht werden können. Dies muss gerade aus Sicht der EU eine zentrale Fragestellung sein, gibt doch die EU mittlerweile den größten Teil des Umweltrechts vor, ohne zugleich über eigene Vollzugsbehörden zu verfügen. Die Bürger und Verbände sind deshalb als Vollzugshelfer per Partizipation und Drittklage ein zentraler Akteur. Dies gilt auch deshalb, weil die EU in der öffentlichen Wahrnehmung ein Problem mit passiven Bürgern und einer ausbaufähigen demokratischen Legitimation hat. Unter anderem im Gefolge der völkerrechtlichen Aarhus-Konvention (AK) von 1998 über Information, Partizipation und Rechtsschutz von Verbänden und Bürgern in Umweltangelegenheiten hat die EU deshalb ihre Partizipations- und Rechtsschutzregularien weiter auszubauen versucht. Dahinter steht auch die EU-rechtliche Vorgabe eines 'hohen Umweltschutzniveaus' nicht nur in Art. 191 Abs. 2 AEUV, sondern auch in den zahlreichen EU-Richtlinien zum Umweltschutz.

Doch diese Anforderungen stehen in einem Konflikt mit immer weitergehenden deutschen Tendenzen zur 'Sicherung des Wirtschaftsstandortes durch entbürokratisierende Beschleunigung' bei der Realisierung von Großprojekten im nationalen Verwaltungsrecht. Die seit 1990 sukzessive aufeinanderfolgenden deutschen Beschleunigungsgesetze setzen auf 'weniger Staat' durch weniger Partizipation und eben auch weniger Drittklagerechte sowie auf eher kurzfristige ökonomische Nützlichkeiten (mehr Straßen trotz Klimawandel?), ungeachtet Zweifeln daran, ob die Genehmigungsverfahrenslänge wirklich ein Wirtschaftsfaktor ist (und ob nicht andere Bürokratien viel unnötiger sind). Bestrebungen zur Reaktion auf die Globalisierung, Verwaltungsreform, Bürokratieabbau, aber auch die in den Wissenschaften gewachsene Steuerungsskepsis mögen dahinterstehen. Aufgrund dessen bleiben naturgemäß auch Verstöße gegen europäisch durch Richtlinien induziertes (häufig Umwelt-)Recht häufig folgenlos. Dabei geht es um weit mehr als um die in Deutschland ständig einseitig fokussierte - und kürzlich vom EuGH nur sehr begrenzt aufgelöste - Frage nach der Verbandsklagebefugnis. Es geht vielmehr darum, ob das komplexe deutsche Netz von Regeln, die letztlich den inhaltlichen (!) Erfolg von Klagen zur Durchsetzung des Umweltrechts verhindern, mit dem Europarecht vereinbar ist. Der ehemalige BVerwG-Präsident Hien äußerte diesbezüglich treffend: 'In Deutschland wird ein geplantes Vorhaben im Regelfall auch gebaut. Vielleicht mit einem Otterdurchlass mehr [...] oder ein paar zusätzlichen Lärmschutzauflagen, aber dauerhaft scheitern muss kein Projekt, solange das Geld für die Erfüllung der Schutzauflagen ausreicht'. Die Europarechtskonformität dieses Zustands unterliegt jedoch deutlichen Zweifeln, denen vorliegend nachzugehen ist. Dabei ist zunächst der deutsche Rechtszustand selbst darzustellen und sodann der europarechtliche Maßstab an ihn anzulegen.



Copyright: © Lexxion Verlagsgesellschaft mbH
Quelle: EurUp 02/2012 (Mai 2012)
Seiten: 8
Preis: € 32,00
Autor: Prof. Dr. Felix Ekardt
 
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