Editorial: Kehrtwende - wie oft noch?
Erst der von Rot-Grün beschlossene Atomausstieg, dann das Zurückrudern von Schwarz-Gelb und die Laufzeitverlängerung unserer Atomkraftwerke. Dann der Super-GAU von Fukushima, der auch den Unbelehrbaren die Augen öffnete und die Kanzlerin zur Kehrtwende bewog.
(21.03.2012) Erst der von Rot-Grün beschlossene Atomausstieg, dann das Zurückrudern von Schwarz-Gelb und die Laufzeitverlängerung unserer Atomkraftwerke. Dann der Super-GAU von Fukushima, der auch den Unbelehrbaren die Augen öffnete und die Kanzlerin zur Kehrtwende bewog. Eine Ethik-Kommission wurde einberufen und der Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 beschlossen. Der Leiter der Kommission, Prof. Dr. Klaus Töpfer, ehemals schwarzer Umweltminister, ist inzwischen zur Speerspitze grünen Gedankenguts geworden. Seinem einstigen Widersacher aus der SPD, dem ‚Super- Wirtschaftsminister’ Wolfgang Clement, heute Ex-SPD-Mitglied und dafür im Aufsichtsrat von RWE, liest er die Leviten in Sachen Atomausstieg. Und in Sachen erneuerbare Energien. Denn das, was sich in den letzten Wochen Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) mit der überhasteten, zusätzlichen Absenkung der Photovoltaikeinspeisevergütung um 20 bis 30 Prozent geleistet haben, gilt als Todesstoß für die Photovoltaik. 'Hier überfordert die Bundesregierung die Solarbranche', kritisierte Prof. Eicke R. Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg. Die Entwicklung der Photovoltaiktechnologie, der Aufbau der Solarindustrie und die Markteinführung der Photovoltaik in Deutschland seien bislang eine große Erfolgsgeschichte, so Prof. Weber.
Dass die Solarbranche längst ihre Nische verlassen hat, ist unbestritten: Nach den jüngsten Zahlen ist der Anteil der erneuerbaren Energien 2011 bei der Stromerzeugung erstmals auf über 20 Prozent geklettert. Die Photovoltaik-Teil liegt bereits bei 3,1 Prozent insgesamt und ihr Anteil an den Erneuerbaren bei 15,6 Prozent. Die Biomasse mit biogenem Restmüll, Klärgas, Biogas usw. hat inzwischen einen Anteil von 30 Prozent am Strom aus erneuerbaren Quellen. Die Erfolgsgeschichte hat freilich ihren Preis, den alle Stromkonsumenten über die EEG-Umlage bezahlen müssen. Doch haben wir nicht jahrzehntelang die Atomindustrie mit mehr als 200 Milliarden Euro subventioniert, ohne beispielsweise Lösungen zu erhalten, die das Endlager radioaktiver Abfälle beinhalten, von Sanierungsfällen wie Asse ganz zu schweigen? Und haben wir nicht den Kohleabbau mit noch mehr Milliarden gesponsert? Und wer beziffert die Folgeschäden aus beiden für Klima und Umwelt? Da ist es doch nicht mehr als recht und billig, auch die Photovoltaik zu stützen, nicht nur wegen ungezählter Arbeitsplätze, sondern auch wegen eines Exportartikels, um den uns das gesamte Ausland beneidet. Deutschland ist bei Wind, Sonne und Biogas technologischer Weltmarktführer. Wenn es uns gelingt, die Energiewende in Deutschland glaubwürdig zu vollziehen, ist mehr gewonnen als eine ethisch verantwortbare Energieversorgung. Dass wir noch einige Hausaufgaben zu machen haben wie Netzausbau, Schaffung von Energiespeichern für Solar- und Windstrom, ist selbstverständlich. Aber der Erfolg der Solarbranche sollte ermutigen: 1988 kostete eine Kilowattstunde Solarstrom etwa einen Euro; heute sind es 22 Cent und in sechs Jahren sollen es nur noch 6 Cent sein. Preiswerter geht es nicht mehr. Aber nur dann, wenn die Solarindustrie, aber auch private und öffentliche Investoren wie Kommunen, die ihre alten Deponieflächen für Solarkraftwerke nutzen wollen, verlässliche Rahmenbedingungen bekommen. ‚Ermächtigungsverordnungen’ à la Rösler & Röttgen sind da eher kontraproduktiv.
Autorenhinweis: Martin Boeckh
Foto: Privat