Mythos Abfallvermeidung

Der Abfall ist nicht Ursache des Abfalls

Abfallvermeidung wird von vielen in der Nachhaltigkeitsdebatte als eine zentrale Maßnahme angesehen, mit der Materialströme unterlassen werden können. Es giltdie Überzeugung, dass durch Abfallvermeidung die Umwelt geschützt und nachhaltig gehandelt wird. Die Daten aus den zurückliegenden Jahrzehnten zeigen jedoch, dass die Brutto-Siedlungsabfallmengen, also die Summe aus verwerteten und beseitigten Abfällen aus Haushalten, Sperrmüll, Straßenkehricht, Grünschnitt und Marktabfällen in Deutschland mit 500 bis 600 Kilogramm pro Kopf und Jahr (kg/cap*a) unverändert sind. Es wurden also keine Abfälle vermieden. Wieso funktioniert die Abfallvermeidung nicht? Der vorliegende Artikel beruht auf der These, dass die Abfallvermeidung deshalb nicht funktioniert, weil es keine gibt. Nicht der Abfall, sondern die Produkte stellen die Ursache des Abfalls dar. Folgerichtig können nur Produkte vermieden werden und nicht Abfälle, die bereits angefallen sind. Die Notwendigkeit, dass die hohen Materiedurchsätze eines Menschen durch Produktvermeidung reduziert werden müssen, stellt bislang jedoch ein Tabu dar. Der vorliegende Artikel möchte dazu beitragen, die Bindung der Abfallwirtschaft an das vermeintliche Handlungsfeld Abfallvermeidung aufzuheben. Die Herausforderung besteht darin, die Abfallwirtschaft zukünftig mit der Produktwirtschaft in das übergeordnete Aktionsfeld einer globalen Materiebewirtschaftung zusammenzuführen, damit darin die Produktvermeidung, so unliebsam vielen Bürgern diese Vorstellung sein mag, als größte Herausforderung des
21. Jahrhunderts ihren Platz finden kann. Nur so wird der Weg in eine 'echte' oder 'starke' Nachhaltigkeit zu finden sein, die dazu beiträgt, den Lebensraum Erde langfristig zu erhalten.



Copyright: © Rhombos Verlag
Quelle: Nachhaltigkeit (Mai 2009)
Seiten: 6
Preis: € 0,00
Autor: Dr. Alfons Grooterhorst
 
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Kommentare:

Kommentar zu 'Mythos Abfallvermeidung - Der Abfall ist nicht Ursache des Abfalls' von Alfons Grooterhorst, Rubrik 'Nachhaltigkeit', Müllmagazin 2/2009 von Dipl.-Geol. Dr. rer. nat. Ulrich Sylvester Lottner 05.12.2011
Quintessenz des Artikels

Grooterhorst ist der Auffassung, dass 'Abfallvermei-dung' nicht überzeuge und sich daher nicht umsetzen ließe, weil nur Produkte vermieden werden könnten, nicht aber bereits angefallene Abfälle. Insofern spricht er der Abfallwirtschaft eine Zuständigkeit für die Vermeidung ab. Ferner schlägt er vor, künftig die Abfall- mit der Produktwirtschaft zum neuen, globalen Aktionsfeld 'Materiebewirtschaftung' (oder auch Aduktwirtschaft) zusammenzuführen, um den Lebensraum Erde langfristig erhalten zu können. Um der Nachhaltigkeit Nachdruck zu verleihen, sei der Begriff 'Materie' anstelle von 'Material' zu verwenden. In seinem Artikel verwendet der Autor aber selbst bevorzugt letzteren Begriff. Den künftigen Weg der Abfallwirtschaft in Deutschland sieht er folgen-dermaßen vorgezeichnet: immer weniger Vermeidung, immer getrennter die Verwertung, immer sauberer die Beseitigung. Das hält er mit Recht für nicht ausreichend angesichts eines von ihm mit ca. 70 t Ressourcen ('Materie') angesetzten Jahresverbrauchs eines jeden Einwohner Deutschlands, im Vergleich zu 18 t Durchschnittsverbrauch weltweit. Nach einem längeren Exkurs in diesen Fragen widmet er sich wieder der Abfallwirtschaft zu, die er außerhalb der Nachhaltigkeit sieht. Grooterhorst postuliert, dass in allen Bereichen der Gesellschaft die Vermeidung von Produkten ein Tabu darstelle. Eine wirksame 'Abfall'-Vermeidung sehe er erst bei einer globalen Bewirtschaftung von 'Materiekontingenten' für jeden Menschen auf der Erde. Er fordert eine Herausnahme der Abfallvermeidung aus dem Kreislaufwirtschaftsgesetz.

Anmerkungen zum Artikel

Materie ist nicht nur laut Wikipedia eine Sammel-bezeichnung für alle Beobachtungsgegenstände der Naturwissenschaften, die Masse besitzen; Raum-bereiche, die keine Materie enthalten, bezeichnet man als Vakuum. Insofern ist fraglich, ob dieser abstrak-te Begriff der Diskussion einer Einsparung konkreter Produkte/Abfälle dienlich ist.
Abfälle lassen sich - von wenigen Ausnahmen abge-sehen - nicht mehr vermeiden, wenn sie bereits angefallen sind, sehr wohl aber vorsorgend. Und darum geht es. In der Novelle zum Kreislaufwirtschafts-gesetz ist daher die Abfallvermeidung auf Grundlage der EU-Richtlinie über Abfälle folgendermaßen definiert:
Die Vermeidung ist jede Maßnahme, die ergriffen wird, bevor ein Stoff, Material oder Erzeugnis zu Abfall geworden ist, und dazu dient, eine Abfallmenge, die schädlichen Auswirkungen des Abfalls auf Mensch und Umwelt oder den Gehalt an schädlichen Stoffen in Materialien und Erzeugnissen zu verringern. Hierzu zählen insbesondere die anlageninterne Kreislauf-führung von Stoffen, die abfallarme Produktgestal-tung, die Wiederverwendung von Erzeugnissen oder die Verlängerung ihrer Lebensdauer sowie ein Konsum-verhalten, das auf den Erwerb von abfall- und schad-stoffarmen Produkten sowie die Nutzung von Mehrweg-verpackungen gerichtet ist.
Die Definition zeigt auch ohne Beispiele das breite Spektrum an Möglichkeiten, Abfälle zu vermeiden. Ein Teil des Spektrums umfasst in der Tat Produkte mit schlechter Qualität, einer vermeidbaren spezifischen Schadstoffbelastung oder einer Zusammensetzung, die später die Entsorgung erschwert, sowie überflüssige Produkte, die man eigentlich gar nicht braucht, und eine Bevorzugung von Einwegverpackungen. Aus jedem Produkt wird eines Tages Abfall. Jeder kann aber dazu beitragen, dass Abfälle nicht vorzeitig entstehen. Durch entsprechendes Handeln lassen sich also Abfälle vermeiden. Das schließt die Wieder- oder Weiterver-wendung von bereits in Gebrauch befindlichen Pro-dukten ein.
Ferner lassen sich definitionsgemäß Reststoffe vermeiden, wenn sie als Wertstoffe anlagenintern, bei der Eigenkompostierung auch im privaten Bereich im Kreislauf geführt und nicht zur Entsorgung als Abfall bereitgestellt werden. Ferner werden Materialien, Erzeugnisse, aber auch Abfälle der Abfallvermeidung zugerechnet, wenn deren Gehalt an schädlichen Stoffen durch Vermeidung der Produktion oder Kaufverweigerung verringert wurde, wie z. B. bei Batterien oder Akkus ohne Hg oder Cd. Bilanzierte Mindermengen dieser Schwermetalle im Vergleich zu den Bilanzen der Vorjahre zählen zur Abfallvermeidung.
Das breite Spektrum der Möglichkeiten, Abfälle zu vermeiden, zeigt das Bayerische Landesamt für Umwelt unter www.lfu.bayern.de/abfall/abfallvermeidung/index.htm an vielen Beispielen.
Wenn ein Architekt oder Bauingenieur sich aus welchen Gründen auch immer dafür entscheidet, Teile eines Vorgängergebäudes stehen zu lassen und in den Neubau zu integrieren, vermeidet er Abfälle (zur Verwer-tung). Wenn man an oder entlang von Verkehrsbauwerken Magerrasen setzte an Stelle von Fettrasen, ließe sich jede Menge Grünschnitt einsparen, sowie Energie, Maschinen, Emissionen etc. sowie Verdruss auf Seiten der im Stau stehenden Autofahrer. Beide Beispiele haben mit Produkten nichts zu tun.
Mit der Abfallvermeidung ist aber nicht daran gedacht, einen Ausgleich an Verbrauch und letztlich Lebensstandard unter den Bewohnern der Erde zu erlangen, wie Grooterhorst es mit seinem Vorschlag einer weltweiten Materialbewirtschaftung (Plan-wirtschaft) erreichen will. Bis es dazu einmal kommen wird - unabhängig davon, ob das praktikabel oder eines fernen Tages auch durchsetzbar wäre -, werden weiterhin diejenigen, die mehr für die für Ressourcen (Primär- oder Sekundärrohstoffe) bezahlen können, auch mehr erhalten. Im Übrigen lassen sich Abfälle am ehesten dort vermeiden, wo sie in relevanter Menge entstehen, nämlich in den Industriestaaten.
Es ist zu hoffen, dass der Artikel von Grooterhorst keine Initiativen abschreckt oder verunsichert, die sich dafür einsetzen, dass Abfälle vermieden werden. Es besteht meines Erachtens weniger ein Tabu in der Gesellschaft, Produkte bzw. Abfälle zu vermeiden, als Gedankenlosigkeit, vielleicht auch Gleichgültigkeit. Es bedarf weiterhin der Verbreitung guter Beispiele, wie leicht letztlich Abfälle vermieden und nach Menge und Schadstoffgehalt auch bilanziert werden könnten.



Abfallvermeidung findet zu wenig Beachtung von Günter Röhrer 07.09.2012
Ich will mit meinen Worten Herrn Dr. Lottner beipflichten:
Abfallvermeidung findet zu wenig Beachtung.
Wenn wir uns "nur" den Lebensmittelbereich einmal ansehen, so drängt sich doch die Frage auf: " Weshalb soll es im Lebensmittelbereich nicht möglich sein, die vielen versch. Produkte so zu "verpacken", wie es sich im Getränkesektor bereits seit zig Jahren bewährt hat!? (Gemeint sind "genormte Kästen" also Transportverpackung!) Dass diese natürlich "zurückfließen" müssen ist ebenso logisch wie längst überfällig!
Dass durch solch ein Konzept, welches zwangsläufig enorme Mengen an Rohstoffen einsparen würde, völlig neuartige Arbeitsplätze notwendig machen würde, durch Pfandkonzepte den Kreislauf auch funktionieren lassen würde, auch umweltpolitische Veränderungen nach sich ziehen würde, ist für jedermann erkennbar! Was heute noch wie eine Vision klingt, wird in wenigen Jahr(zehnt)en den ganz normalen Alltag prägen!

Im Unterschied zu Verkaufsverpackung und Umverpackung (was oftmals nötig ist) entwickeln sich die Transportverpackung (Kartonagen, Pappe) gerade die im Elektrohandel unübersehbar zu wahren "Müllbergen"!

Diese Transportverpackungen sind auf "gut deutsch" überflüssig "wie ein Kropf " ! Wie schon erklärt, gehen Sie zum Vergleich beim Einkaufen in einen Lebensmitteldiscounter, betrachten Sie dort die Abfallberge in Form von Kartonagen - gehen Sie anschließend in einen Getränkegroßmarkt; vergleichen Sie dort das "Müllaufkommen"! Sie werden feststellen, dass beim Getränkehändler die Ware meist in "genormte Kästen" angeboten wird!

Aber warum soll dies nicht auch in anderen Bereichen möglich sein, egal, ob Süßigkeiten, Hygieneartikel, Kühlartikel, .... alles könnte ebenso in derartigen Kästen geliefert werden!

Erste Ansätze erkennen wir bereits im Obst- oder Gebäckbereich, allerdings fehlt auch hierzu eine "geregelte" Rückführung - also wohl eher 'ne "Flickschusterei" !

Es wird höchst Zeit, dass jedem diese Zusammenhänge verständlich erklärt werden, aber auch, dass wir mit unserer derzeitigen "Abfallpolitik" auf Kosten künftiger Generationen leben! Eigentlich schon ein Unding, wenn man bedenkt, dass von Fachleuten der Begriff Nachhaltigkeit auch mit folgendem Argument in Verbindung gebracht wird:

"Jede Generation muss ihre Probleme selbst lösen und darf sie nicht künftigen Generationen übertragen !"

Mit freundlichen Grüßen
Günter Röhrer


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