Steilvorlage für die Abfallwirtschaft - 18. Kasseler Abfallforum 2006 im Zeichen des Wandels
Die Abfallwirtschaft ist noch immer im Umbruch. Nachdem bisher nur die Dienstleistung der Müllentsorgung bewertet wurde, bekommt der Rohstoff Müll zunehmend an Bedeutung. Steigende Energie- und Rohstoffpreise geben neuen Verfahren eine Chance. Was jetzt noch fehlt, ist eine Effizienz-Offensive der Abfallwirtschaft, so der allgemeine Tenor auf der Tagung.
13.06.2006 "Ersatzbrennstoffe aus Restabfall bringen Gewinne, und in Zukunft wird es eine Müllentsorgung zum Nulltarif geben" - Prof. Dr. Klaus Wiemer, Veranstalter des 18. Kasseler Abfallforums 2006, wollte mit dieser Aussagen sicher provozieren - aber er erntete keinen ernsten Widerspruch. Nahezu einhellig ist man sich in der Branche einig, dass die Abfallwirtschaft vor neuen Zeiten steht. "Die TASi und ihr Deponierungsverbot waren das beste Investitionsprogramm für die Abfallwirtschaft, das denkbar war", bilanzierte Ministerialdirigent Dr. Gottfried Jung vom Ministerium für Umwelt und Forsten des Landes Rheinland-Pfalz. "Die gegenwärtig hohen Energiepreise liefern eine hervorragende Steilvorlage, denn neue Verfahren der Energie- und Rohstoffnutzung aus Abfällen werden zunehmend wirtschaftlich." Allerdings sei die Branche an sich sehr konservativ; ein Umdenken sei notwendig. "Wir brauchen eine Effizienz-Offensive für alle Bereiche der Abfallwirtschaft", so Jung.
Ganz so optimistisch was die Preisentwicklung bei Sekundärbrennstoffen angeht, mochte sich Dr. Rüdiger Siechau, Vorstandsvorsitzender des Verbandes Kommunale Abfallwirtschaft und Stadtreinigung (VKS), nicht geben; doch Prof. Klaus Wiemer und Peter Hoffmeyer, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE), sehen in dem Produkt Abfall durchaus einen Rohstoff, dessen Entsorgung sich in Zukunft tragen wird. Allerdings gebe es beim Abfall sehr große Qualitätsunterschiede. "In jedem Fall wird durch eine noch bessere Technik die Sortierqualität und damit auch die Produktqualität verbessert", meinte Wiemer.
Einig scheint sich die Fachwelt außerdem darin, dass die deutsche TASi der gesamten EU ein Beispiel sein sollte. "Wir brauchen eine europäische Verwertungsverordnung mit einheitlichen Standards, um zukünftig bei der Verwertung Missbrauch zu verhindern." Die Überwachung müsse durch eine europäische Behörde erfolgen. Gottfried Jung sieht die Chancen dafür wachsen, denn die steigenden Energiepreise zwinge auch die europäischen Nachbarländer, über ein Deponieverbot nach deutschem Muster nachzudenken. "Doch in Polen wird der Bau von Deponien noch immer gefördert - ein völliger Unsinn", kritisierte BDE-Präsident Hoffmeyer. "Es wird Zeit für schmerzhafte Deponiesteuern und letztlich einen Bewusstseinswandel in unseren Nachbarländern", ergänzte Wiemer. Deutschland könne davon durch den Technologie-Export gut profitieren. In Deutschland sind seit 1993 seien mehr als 20 Mrd. Euro in neue Anlagen investiert und 15.000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden, die Hälfte davon in privaten Unternehmen. Entsorger definieren sich heute zunehmend als Rohstoffproduzenten. Hoffmeyer sprach in diesem Zusammenhang vom "Urban Mining", da es absehbar sei, dass die Gewinnung von Sekundärrohstoffen aus Abfällen kostengünstiger werde als die primärer Rohstoffe.
Dass die deutsche Entsorgungswirtschaft den Trend bereits erkannt hat, konnte man in Kassel schon daran sehen, dass der Bereich der Bioabfall-Kompostierung unter den 84 Ausstellern kaum, der Bereich der Vergärung und thermischen Nutzung von Biogas dagegen auffallend häufig vertreten war.
Das Thema Biomasse wird uns in den kommenden Jahren mehr denn je beschäftigen. Trotz getrennter Abfallsammlung besteht der Restmüll immer noch zu mehr als 50 Prozent aus Biomasse. Diese gilt es in Anlagen mit hohem energetischen Wirkungsgrad zu nutzen, denn die Biomasse aus Abfällen, so betonte Ministerialdirigent Jung, werde auf lange Zeit in deutlich größeren Mengen anfallen, als dies für die Anbaubiomasse für alternative Energieerzeugungszwecke der Fall sein werde. Das Umweltbundesamt geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass erst ab dem Jahr 2050 mehr Anbaubiomasse zur Verfügung stehen wird, als dies bei Restabfällen der Fall ist.
Unternehmen, Behörden + Verbände: Ministerium für Umwelt und Forsten des Landes Rheinland-Pfalz, Verband Kommunale Abfallwirtschaft und Stadtreinigung (VKS)
Autorenhinweis: Martin Boeckh