Neue Strategie - EU nimmt neuen Anlauf zur Kreislaufwirtschaft
Die Brüsseler Umweltpolitiker wollen Schluss machen mit der wenig transparenten und wenig umweltverträglichen Abfallentsorgung. Eine neue Recyclingstrategie sieht vor, dass sich die EU bis 2015 zu einer Gesellschaft mit Kreislaufwirtschaft wandelt, die möglichst viel Müll vermeidet und Abfälle als Ressource nutzt.
27.05.2006 Es ist unbestritten: Abfälle sind ökologisch und ökonomisch ein wichtiger Faktor der Wirtschaft. Entsorger und Verwerter machen in den 25 Mitgliedsstaaten jährlich einen Umsatz von über 100 Mrd. Euro und beschäftigen rund 1,5 Mio. Menschen. Recyclingbetriebe stellt heute bei Papier, Stahl und Glas 40 bis 50 Prozent der Rohstoffe bereit. Moderne Deponien und Verbrennungsanlagen haben kaum noch etwas mit den Kippen und Müllöfen der Vergangenheit gemein, und für Sondermüll gibt es heute Behandlungsverfahren, die die Umwelt wenig belasten.
Unbestritten ist aber auch: In kaum einem Themenbereich der europäischen Umweltpolitik klaffen Wunsch und Wirklichkeit so weit auseinander wie beim Abfall. Obwohl seit langem die Rangfolge ,Vermeiden - Verwerten - Beseitigen' Gültigkeit hat, wachsen in der EU die Abfallberge stärker als die Wirtschaft. Jeder Bürger produziert im Durchschnitt 550 Kilogramm Abfälle pro Jahr und damit über 200 Kilogramm mehr, als die EU 1993 als Ziel von Abfall reduzierenden Maßnahmen festgeschrieben hat. Bis 2020, so schätzen Experten, wird die Gemeinschaft 40 Prozent mehr Müll produzieren als 1995.
Kurz gesagt werden in der EU große Mengen an natürlichen Ressourcen vergeudet, gebrauchte Produkte zu wenig recycelt, und nach wie vor landet zuviel Müll - nahezu die Hälfte aller Siedlungsabfälle - auf Deponien. Alles in allem eine Reihe von guten Gründen, die Vermeidung und Verwertung von Abfällen in der EU auf ein neues, modernes Fundament zu stellen: Ende Dezember präsentierte die EU-Kommission einen Vorschlag für eine "Thematische Strategie für Abfallvermeidung und -recycling". Ziel der neuen Strategie: Europa soll sich zu einer Gesellschaft mit Kreislaufwirtschaft wandeln, die Abfälle weitgehend vermeidet oder als Ressource nutzt. Ziel ist auch, die bestehenden Rechtsvorschriften so zu vereinfachen und zu ergänzen, dass der Umgang mit Abfällen in allen Mitgliedsstaaten weitgehend denselben Vorgaben folgt.
In der Branche treffen die Pläne auf Zustimmung. "Die Abfallwirtschaftspolitik muss stärker als bisher als Bestandteil der Ressourcenschonung verstanden werden", betont der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE). Die umweltgerechte Verwertung von Abfällen sei ein wichtiger Bestandteil zur Erhaltung von Rohstoffen. "Sekundärrohstoffe werden in Zukunft eine noch größere Bedeutung für die Rohstoffversorgung unserer Volkswirtschaft haben als das heute schon der Fall ist", sagte Hans-Jürgen Cierzon, Präsident des Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) auf der Bilanzpressekonferenz des bvse Ende Januar in Bonn.
Als einer der wichtigsten Schritte hin zur Kreislaufwirtschaft will die EU der alten Abfallrahmenrichtlinie von 1975 ein modernes Gesicht geben. In ihrem Revisionsvorschlag formuliert die Kommission das künftige Umweltziel für die Abfallwirtschaft: "Unternehmen aber auch Behörden müssen sich das Lebenszykluskonzept zu eigen machen, das nicht nur der durch Abfall verursachten Umweltverschmutzung Rechnung trägt, sondern auch versucht, durch Vermeidung, Recycling und Wiederverwertung die negativen Auswirkungen der Nutzung von Ressourcen auf die Umwelt so effizient wie möglich zu reduzieren." Bei der Revision soll die Abfallrahmenrichtlinie außerdem mit der Richtlinie über gefährliche Abfälle zusammengeführt werden, die Altöl-Richtlinie wird aufgehoben.
Insider wissen: Eine Kreislaufwirtschaft scheiterte in der EU bislang weniger an einem Mangel an Vorschriften, Verfahren oder Technologien, sondern oftmals an unklaren Bestimmungen. Bei der Revision der Rahmenrichtlinie sind daher vor allem Fachleute mit einem Gespür für klare Formulierungen gefragt. Die Kommission kündigte an, dass die Definitionen der Begriffe "Verwertung" und "Beseitigung" geklärt, eine Begriffsbestimmung für "Recycling" eingeführt und Überschneidungen zwischen abfallrechtlichen Bestimmungen und anderen Umweltschutzvorschriften beseitigt werden. "Undeutliche Begriffsbestimmungen und unterschiedliche Auffassungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten haben die Umsetzung bestehender Vorschriften behindert und zu Streitigkeiten geführt", schreiben die Brüsseler Abfallexperten in der Recyclingstrategie. Trotz der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs seien simple Fragen, z.B. wann Abfall kein Abfall mehr ist, weiterhin unklar. Der BDE begrüßt die Pläne, das geltende Recht zu vereinfachen und zu aktualisieren. "Eine solche Vereinfachung darf aber keinesfalls zur Absenkung der europäischen Umweltstandards führen", mahnt der Verband.
Durch eine klare Definition der Schlüsselbegriffe und durch Mindeststandards für Verwertungsverfahren soll vor allem das Recycling gebrauchter Produkte und Materialien angekurbelt werden. Qualitätsnormen stimulieren die Nachfrage nach Recyclingware und verbessern deren Akzeptanz, betont die Kommission. Derzeit gelange nur ungefähr ein Zehntel der stofflich verwertbaren Abfälle in Anlagen, die Mindestqualitätsnormen erfüllen. Einheitliche EU-Normen würden außerdem dazu führen, dass ein Recycling dort erfolgt, wo es am effizientesten ist.
Längst nicht alle Abfälle lassen sich recyceln. Das wissen auch die Strategen in Brüssel. Daher schlägt die Kommission vor, die thermische Verwertung von Abfällen in modernen Müllverbrennungsanlagen zu forcieren. Durch die Festsetzung von Energieeffizienz-Werten für kommunale MVA soll klar definiert werden, in welchen Anlagen Müll lediglich beseitigt, in welchen er verwertet wird. Das fördert den Bau moderner Müllheizkraftwerke und hält Abfälle von der Deponie fern, hoffen die EU-Politiker. Spätestens 2010 soll die Deponiepraxis überprüft werden. "Sollte sich herausstellen, dass weiterhin inakzeptable Arten und Mengen von Abfällen deponiert werden, werden Deponierungsverbote in Betracht gezogen."
Ein Riegel vor die Billigentsorgung auf Deponien kommt den deutschen Entsorgern entgegen. Der BDE spricht sich gar für ein europaweites Deponieverbot für verwertbare Abfälle aus. Ein solches Verbot für nicht vorbehandelten Bio-Müll nach dem Vorbild der deutschen TASi würde einen entscheidenden Beitrag zum Ressourcenschutz leisten, betont der Verband.
Nicht auf alle Fragen der Abfallwirtschaft haben die EU-Strategen neue Antworten. Wie sich Abfälle am besten vermeiden lassen - da greifen auch sie weitgehend auf alte Rezepte zurück. In der Revision zur Rahmenrichtlinie listet die Kommission eine Reihe von Empfehlungen, darunter die Förderung von recyclingfreundlichem Produktdesign und von glaubwürdigen Öko-Labels. Sie empfiehlt, Verbraucher besser zu informieren und die Wirtschaft für abfallarmes Produzieren zu sensibilisieren. Innerhalb von drei Jahren sollen die Mitgliedstaaten nationale "Müllvermeidungsprogramme" entwickeln, lautet der anspruchsvolle Vorschlag. Wie und wo aber tatsächlich Abfälle vermieden werden, bleibt der Phantasie von nationalen und lokalen Behörden, vor allem aber auch dem Engagement der Wirtschaft und nicht zuletzt dem Verbraucher überlassen.
Unternehmen, Behörden + Verbände: BDE, bvse
Autorenhinweis: Christa Friedl
Infos im Internet
Thematische Strategie für Abfallvermeidung und -recycling: http://europa.eu.int/comm/environment/waste/pdf/com_waste_de.pdf
Revision der Rahmenrichtlinie: http://europa.eu.int/comm/environment/w aste/pdf/directive_waste_de.pdf
Mit Ressourcen geizen
Eng mit der neuen Abfallstrategie ist eine zweite "Thematische Strategie" der EU-Kommission verknüpft - die Ressourcenstrategie. Innerhalb der kommenden 25 Jahre will die EU das Wirtschaftswachstum vom Verbrauch natürlicher Ressourcen abkoppeln. Mit anderen Worten: Produktion und Konsum in der EU sollen wachsen, der Einsatz von Rohstoffen, Wasser und Energie dagegen sinken.
Auf den ersten Blick findet diese Entkopplung bereits statt. In der EU-15 ist der Gesamtverbrauch an Ressourcen je Einwohner in den letzten zwanzig Jahren praktisch unverändert geblieben ist; trotzdem ist die Wirtschaft im gleichen Zeitraum um 50 Prozent gewachsen. Allerdings wurden diese Effizienzgewinne durch höhere Produktionsmengen in vielen Fällen zunichte gemacht. Da die EU in hohem Maße vom Import abhängig ist und es für viele Rohstoffe heute bereits Engpässe gibt, sollen Ressourcenproduktivität und Ökoeffizienz in allen Mitgliedsstaaten deutlich steigen. Gelingt das nicht, droht die Versorgung mit Energie und Material zur Wachstumsbremse zu werden, warnt die Kommission.
Die neue Ressourcenstrategie sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten nationale Maßnahmen und Programme erarbeiten, wie sie den Verbrauch besonders umweltbelastender Ressourcen senken und gefährliche Stoffe durch Alternativen ersetzen. Zudem plant die EU, für verbrauchsintensive Branchen Aktionspläne zu entwickeln, wie die Unternehmen sparsamer und gleichzeitig umweltverträglicher wirtschaften können.
Die Ende 2005 vorgelegte Strategie nennt keine quantitativen Ziele. Erst bis 2008 sollen Indikatoren entwickelt werden, mit denen sich Ressourcenproduktivität messen lässt und die eine Überprüfung der Fortschritte in den einzelnen Mitgliedsstaaten ermöglichen. 2010 will die Kommission die Erfolge erstmals analysieren, danach ist ein Monitoring im Fünfjahres-Rhythmus vorgesehen.
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