Grenzerfahrungen - Novelle der EG-Abfallverbringungsverordnung in der Diskussion
Die neue EG-Abfallverbringungsverordnung steht kurz vor ihrem Erlass. Sie wird den europäischen Entsorgungsmarkt verändern. Sie tut dies zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die EU weit über das Verbringungsrecht hinaus neue und grundsätzliche abfallrechtliche Spielregeln gibt. Der Entwurf einer Novelle der Abfallrahmenrichtlinie liegt ebenso vor wie derjenige für eine europäische Vermeidungs- und Verwertungsstrategie.
27.03.2006 Ende Oktober 2005 hat das Europäische Parlament einem Kompromisspaket für eine umfassend novellierte EG-Abfallverbringungsverordnung zugestimmt. Nach der zweiten Lesung im Rat wird erwartet, dass die Verordnung in der ersten Jahreshälfte 2006 erlassen wird, um sodann mit einer Übergangsfrist von einem Jahr Anfang 2007 Anwendung finden zu können. Die veränderten Spielregeln betreffen Abfallerzeuger, Entsorger, Transport- und Logistikunternehmen. Marktteilnehmer sollten sich rechtzeitig auf die bevorstehenden Änderungen einstellen. Der europäische Gesetzgeber greift nachhaltig in den vorhandenen Bestand ein. Die Änderungen sind weitreichend.
Indiz für die Reichweite der kommenden Neuerungen sind Regelungsumfang und Regelungsdichte. Hierbei fällt auf, dass die Verordnung im Vergleich zur gegenwärtigen Rechtslage um fast ein Drittel auf über 60 Artikel mit teilweise sehr komplexen Regelungsinhalten angeschwollen ist. Das Bundesumweltministerium hat in einer Stellungnahme im November des vergangenen Jahres erklärt, mit der neuen Verordnung werde eine grundlegende Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen aufgrund der Erfahrungen aus der Anwendung der bisherigen Verordnung erreicht. Der Verfasser dieses Beitrags teilt diese Bewertung nicht. Grenzüberschreitende Entsorgungskonzepte werden durch etliche Regelungen des künftigen Rechts erschwert. Die Verordnung ist nicht unbedingt ein Beitrag zur Förderung eines gesamteuropäischen Entsorgungsmarktes.
Der Vergleich Alt und Neu zeigt, dass sich die Eingriffe des europäischen Gesetzgebers über den gesamten vorhandenen Regelungsbestand der gegenwärtig noch geltenden EG-Abfallverbringungsverordnung erstrecken. Neue Strukturen finden sich im Aufbau des Regelwerks, dessen "Architektur" wird eine andere. Festzustellen sind Änderungen bei den der Verordnung zugrunde gelegten Definitionen, im System der so genannten Ampellisten, bei den behördlichen Interventionsbefugnissen, bei den Formularen für die Notifizierung usw.
Da an dieser Stelle nicht sämtliche Neuregelungen darstellbar sind, können die nachfolgenden Stichworte nur einen ersten Eindruck der bevorstehenden Änderungen vermitteln.
Stichwort Begriffsbestimmungen: In beeindruckenden 38 Einzelpositionen - geregelt in Artikel 2 der Novelle - klärt die neue Verbringungsverordnung zunächst einmal ihre eigenen Begrifflichkeiten. Neu sind dabei z. B. Definitionen für Abfallgemische, für "vorläufige Verwertung" und "vorläufige Beseitigung" oder Regelungen dazu, wer als Händler oder Makler im Sinne der Verordnung anzusehen ist. Letzteres ist ebenso praxisbedeutsam wie die Neuformulierung der Vorschrift über die notifizierende Person, bei der erstmals ,expressis verbis eine Rangfolge formuliert wird. Praxistipp: Unter welchen Voraussetzungen die "nachrangigen" Notifizierenden, wie etwa Makler oder Händler im Verfahren auftreten können, wird unabhängig von der zitierten Norm durch ein noch beim Europäischen Gerichtshof anhängiges Verfahren beeinflusst werden (Rs. C-215/04 - Pedersen). Mit einem Urteil ist in diesem Jahr zu rechnen.
Stichwort Ampellisten: Das für die Verbringungspraxis bedeutsame Listensystem ist nachhaltig überarbeitet worden. Die grüne Liste wurde ergänzt, gelbe und rote Liste zusammengefasst. Was in Teilen zunächst wie eine Verfahrenserleichterung erscheint, erweist sich bei genauerem Hinsehen jedoch als wenig benutzerfreundlich. Die novellierten Anlagen der Verordnung sind durch zahlreiche Quer- und Rückverweise geprägt, die sich für den Rechtsanwender als Irrgarten erweisen werden. Praxistipp: Fußnoten der Anhänge beachten, sonst wird das Navigieren im neuen Listensystem schwierig! Eine Sonderregelung wird es für Stoffgemische von Abfällen der grünen Liste geben. Diese dürfen ohne Notifizierung verbracht werden, wenn die Zusammensetzung der Gemische ihre umweltverträgliche Verwertung nicht erschwert und sie in einem spezifischen Anhang IIIA aufgeführt sind. Die Einträge in dem genannten Anhang IIIA sind noch nicht hinterlegt. Sie werden in einem gesonderten Ausschussverfahren bestimmt werden.
Stichwort Einwendungsbefugnisse: Nach geltendem Verbringungsrecht können die beteiligten Behörden der von einer grenzüberschreitenden Entsorgung berührten Staaten Einwände gegen eine geplante Verbringung erheben und durch dieses Interventionsrecht die grenzüberschreitende Entsorgung stoppen. Dies wird auch künftig so sein, wobei allerdings die durch die Verordnung vorgesehenen Einwandstatbestände deutlich erweitert werden. Einen - exemplarischen - Eindruck vermittelt der Blick in den künftigen Artikel 12 des novellierten Regelwerks. Hierbei handelt es sich um diejenige Vorschrift, die sich mit den möglichen Einwänden gegen die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union befasst. Neu ist hier beispielsweise eine Regelung, die in Anlehnung an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs nationale Entsorgungsstandards zum behördlichen Interventionsrecht erhebt. Die Vorschrift ist sicherlich problematisch. Mit abschließenden Bewertungen sollte man allerdings zurückhaltend sein. Die Norm ist deutlich komplexer, als sie in ersten Stellungnahmen dargestellt wird. In der Anwendungspraxis dieses Artikels wird Streit entstehen. Abgesehen davon muss abgewartet werden, ob die Regelung tatsächlich nur aus Umweltschutzgründen motiviert zur Anwendung kommen wird. Vorsichtig formuliert: Zumindest vorstellbar ist auch, das regionale abfallwirtschaftliche Interessen durchaus Bestandteil eines Motivationsbündels für eine behördliche Intervention im Rahmen des künftigen Artikels 12 sein könnten. Die zitierte Norm bietet ein Vehikel dafür.
Stichwort gemischte Siedlungsabfälle: Es ist unter anderem auf die Einflussnahme Deutschlands zurückzuführen, dass die Verbringung gemischter Siedlungsabfälle auch dann den Vorschriften für eine grenzüberschreitende Beseitigung unterliegt, wenn sie im Bestimmungsstaat verwertet werden. Dies bedeutet in der Rechtsfolge, dass die beteiligten Behörden bei derartigen Verfahren die weitereichenden Einwandstatbestände der Beseitigungsvorschriften geltend machen können. Hierbei spielen dann Gesichtspunkte wie die so genannte Entsorgungsautarkie eine Rolle. Folge: Aus- oder Einfuhren der in Rede stehenden Abfälle sind leichter zu stoppen. Auch diese Neuregelung ist eher kontraproduktiv, wenn man das Ziel eines gesamteuropäischen Entsorgungsmarktes verfolgt. Es wird interessant zu beobachten sein, wie sich die nationalen und europäischen Gerichte zur Vereinbarkeit dieser Regelung mit primärem Gemeinschaftsrecht äußern werden.
Stichwort Verfahrensvorschriften: Bedeutsame Neuerungen finden sich auch in den Vorschriften über das Notifizierungsverfahren. Beispielhaft zu nennen sind hier die europaweite Einführung der Behörden-Notifizierung, Vorgaben für die Sicherheitsleistung oder eine abgeänderte Bestimmung für die Sammelnotifizierung.
Eine weitere Änderung im Notifizierungsverfahren bringt Artikel 27 der Novelle. Die Vorschrift sieht Regelungen für den Fall vor, dass die Behörden des Versand- und des Empfangsstaats unterschiedlicher Auffassung über zentrale Einstufungsfragen sind. Artikel 27 erfasst Bewertungsdifferenzen über die Fragen des "Ob" und "Wie" eines Notifizierungsverfahrens, nämlich dann, wenn die beteiligten Behörden uneins über die Abfalleigenschaft des zur grenzüberschreitenden Entsorgung anstehenden Materials sind, wenn die Listeneinstufung der Abfälle streitig ist oder wenn kein Einvernehmen darüber erzielt werden kann, ob die Abfallbehandlung als Verwertung oder Beseitigung einzustufen ist. Bei derartigen Differenzen gilt dann für die Verbringung jeweils die strengere Regelung, das heißt: Abfall, Anhang IV, Beseitigung.
Stichwort Notifizierungsunterlagen: Notifizierungs- und Begleitformulare sind durch den Verordnungsgeber neu gestaltet worden, wobei die bisherige Struktur in weiten Teilen erhalten bleibt. Eine praxisrelevante Neuerung ist Anhang II der Novelle. Der Anhang enthält Listen über die im Notifizierungs- bzw. Begleitformular anzugebenden oder diesen beizufügenden Informationen. Verlangen die beteiligten Behörden im Verfahren zusätzliche Dokumente und Daten, war in der Vergangenheit oft deren Umfang streitig. Hierzu trifft nunmehr der künftige Artikel 4 Nr. 3 eine Regelung. Die Vorschrift verweist auf den dritten Teil des zitierten Anhangs, in welchem "zusätzliche Informationen und Unterlagen", die behördlicherseits verlangt werden können, gelistet sind.
Stichwort Wechselwirkungen: Wer sich für die künftigen abfallrechtlichen Rahmenbedingungen der grenzüberschreitenden Entsorgung interessiert und dabei nur die Novelle der EG-Abfallverbringungsverordnung ins Blickfeld nimmt, greift deutlich zu kurz. Das europäische Abfallrecht befindet sich derzeit in einem weit darüber hinausgehenden, grundsätzlichen Wandel. Mit Datum vom 21.12.2005 hat die Europäische Kommission den Entwurf für eine Novelle der Abfallrahmenrichtlinie ebenso vorgelegt wie den Entwurf einer europäischen Vermeidungs- und Verwertungsstrategie.
Richtlinie, Strategie und ihre Folgemaßnahmen - hiermit sind Regelungen in verschiedenen Ausschussverfahren und bereits angekündigte Kommissionsleitlinien gemeint - werden zukünftig in den Anwendungsbereich der EG-Abfallverbringungsverordnung hineinwirken. Hierfür sorgt bereits der Umstand, dass die Verordnung an verschiedenen Stellen anderweitig definierte und geregelte Begriffe voraussetzt. Beispiele hierfür sind Abfall, Abfallende, Verwertung, Beseitigung. Zu diesen Beispielen sind konkretisierende europäische Normen in Vorbereitung: Leitlinien der Europäischen Kommission zur Einstufung bzw. Nichteinstufung industrieller Nebenprodukte als Abfall im Rechtssinne, konkretisierende Regelungen zum Ende der Abfalleigenschaft in der Folge von Aufbereitungsprozessen sowie der Versuch einer Präzisierung der Abgrenzung zwischen Verwertung und Beseitigung; Letzteres in der bzw. aufgrund der novellierten Abfallrahmenrichtlinie.
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Autorenhinweis: RA Dr. Ralf Kaminski