Auf Eis gelegt - Neu-Ausrichtung der Klärschlamm-Politik lässt auf sich warten
Über den umweltgerechten Umgang mit den Schlämmen aus der Abwasserreinigung wird seit Jahren disputiert. Daran wird sich kaum etwas ändern. Die EU-Kommission hat die Überarbeitung der Klärschlammrichtlinie scheint's auf die lange Bank geschoben. Derweil basteln die Bundesländer an eigenen Konzepten.
15.02.2006 So schnell wird es wohl nichts mit einer klärenden, europaweit einheitlichen Regelung darüber, wie künftig mit den über 7 Mio. Tonnen Klärschlamm in der Union umgegangen werden soll. Nach dem jüngsten Zeitplan der Europäischen Kommission soll der Vorschlag für die Überarbeitung der Klärschlamm-Richtlinie aus dem Jahr 1986 nun erst 2007 vorgelegt werden. Vorausgesetzt, die ,Thematische Strategie für Böden' sowie die damit verbundenen Maßnahmen sind bis dahin verabschiedet.
Eingebettet ist diese neue Terminplanung allerdings in die ,Thematische Strategie für Abfallvermeidung und -recycling', die die EU-Kommission kurz vor Weihnachten 2005 vorgelegt hat. Das Konzept für eine europäische Recycling-Strategie sieht unter anderem vor, für bestimmte Wertstoffe Qualitätskriterien zu entwickeln, die bei ihrer weiteren Verwendung einzuhalten sind. Hierzu gehören auch biologische Abfälle wie Kompost. Im gleichen Zusammenhang wird auch die Bewirtschaftung von Klärschlamm genannt. Dies wiederum legt die Vermutung nahe, dass die Anbindung der Klärschlamm-Verwertung an die Strategie zum Schutz des Bodens zumindest gelockert werden soll.
Ungeklärt bleibt damit zumindest vorläufig, wohin sich die europäische Klärschlamm-Politik wendet: Eher in Richtung einer - wenn auch qualitätsgesicherten - Verwertungsstrategie, dann vornehmlich auf landwirtschaftliche Flächen oder im Landschaftsbau? Oder doch hin zu einem vorsorgenden Bodenschutz, mit entsprechend strengen Schadstoff-Grenzwerten, die nach gegenwärtigem Stand der Technik einem weitgehenden Ausbringungsverbot von Schlämmen aus der Abwasserreinigung auf Anbauflächen gleich käme? Diese eher vorsichtige, auf nachhaltige Bodennutzung zielende Strategie wurde bisher vom Bundesumweltministerium unter Leitung des Grünen-Politikers Jürgen Trittin favorisiert. Wie sich das neu formierte Ministerium unter SPD-Minister Sigmar Gabriel positioniert, bleibt abzuwarten.
Nach Angaben des aktuell geltenden Klärschlammberichts der Bundesregierung fielen in Deutschland etwas weniger als 2,2 Mio. Tonnen Klärschlamm-Trockensubstanz an. Seit 2001 (2,3 Mio. Tonnen) zeichnet sich somit eine leicht fallende Tendenz ab. In Europa (rund 7 Mio. Tonnen) ist jedoch noch mit deutlichen Steigerungen zu rechnen. Hier fangen insbesondere die neuen Mitgliedsländer aus Ost-Europa ja gerade erst an, ihre kommunale Abwasserreinigung auf EU-Standard anzuheben.
In der Bundesrepublik wurde 2003 rund ein Drittel der Schlämme in der Landwirtschaft verwertet. Hinzu kommt nach eigenen Erhebungen der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA, Hennef) noch etwa ein Verwertungs-Anteil von 26 Prozent im Landschaftsbau. Die thermische Behandlung hat sich nach DWA-Angaben in den letzten Jahren äußerst dynamisch entwickelt und hält mit fast 40 Prozent bereits den höchsten Anteil an der bundesweiten Entsorgung von kommunalem Klärschlamm. Davon entfallen 21 Prozent auf die Mono-Verbrennung, 14 Prozent auf die Mitverbrennung vornehmlich in Kohlekraftwerken und 3 Prozent auf Sonderverfahren. Deponierung spielte 2003 mit 3 Prozent kaum noch eine Rolle, und dürfte derzeit, nach Inkrafttreten der letzten TASi-Phase, gegen Null tendieren.
Nach den letzten Klärschlammzahlen der EU-Kommission (Stand 2004/Berichtsjahr 2000) liegt die Verwertungsquote in Landwirtschaft und Landschaftsbau zusammen bei rund 45 Prozent. Und verbrannt wurden ca. 17 Prozent der europäischen Schlämme. Allerdings wurden im Jahr 2000 immer noch rund 18 Prozent der Schlämme deponiert. Darüber hinaus konnte über den Verbleib von fast einem Fünftel von Europas Klärresten keinerlei Angaben gemacht werden.
So unklar es derzeit noch ist, welcher Seite sich der politische Abwägungsprozess auf deutscher wie europäischer Ebene schließlich zuneigt, so unterschiedlich sind auch Herangehensweisen und politische Zielsetzungen auf Ebene der deutschen Bundesländer. Als ausgewiesener Gegner der landwirtschaftlichen Verwertung kommunaler Klärschlämme positioniert sich in vorderster Front Nordrhein-Westfalen. Kategorische Forderung aus dem Umweltministerium des Landes: Die Klärschlamm-Düngung sollte europaweit eingestellt werden - zum Schutz der zukünftigen Generationen.
Dabei stützt sich das Ministerium auf eine Reihe von Klärschlamm-Untersuchungen, die es in den letzten Jahren selbst initiiert hat. Die letzte aus dem vergangenen Jahr hat speziell organische Schadstoff-Verbindungen ins Visier genommen. Ergebnis: Ganze neun Stoffgruppen wurden als ,besonders relevant' eingestuft. Hierzu gehören beispielsweise Chlorphenole, Bestandteil von Desinfektionsmitteln, die die Bodenfauna beeinträchtigen können. Oder Moschusverbindungen, besonders widerstandsfähige Duftstoffe, die im Verdacht stehen, endokrin, also auf die menschlichen Drüsen zu wirken.
Entsprechend dieser kritischen Haltung wird in NRW mittlerweile (Stand 2003) über die Hälfte der knapp 570.000 Tonnen Klärschlämme verbrannt. Nur noch 22 Prozent werden landwirtschaftlich sowie 3 Prozent im Landschaftsbau genutzt. Der Rest wird kompostiert oder zwischengelagert.
Baden-Württemberg setzt ebenfalls mittelfristig auf einen Ausstieg aus der landwirtschaftlichen Schlamm-Verwertung. Entsprechend wird Klärschlamm (rund 285.000 Tonnen pro Jahr) auch hier mittlerweile (Stand 2004) zu über 50 Prozent verbrannt. In die Landwirtschaft gehen nur noch 14 Prozent. Aber immerhin noch 27 Prozent landen im Landschaftsbau. Der Rest fällt unter Sonstiges.
Unterstützt wird das baden-württembergische Umweltministerium in seiner Politik dabei vom ,Nachhaltigkeitsbeirat der Landesregierung'. Der hat in seinen Untersuchungen unter anderem die Mitverbrennung der Schlämme in Kraftwerken sowohl unter ökologischen als auch ökonomischen Aspekten als günstigste Entsorgungsalternative identifiziert. Zudem reichten die bundesweiten Kraftwerks-Kapazitäten, um den gesamten deutschen Klärschlamm zu verarbeiten.
Auch Bayern will den gesamten landwirtschaftlich und landschaftsbaulich genutzten Klärschlamm mittelfristig einer thermischen Behandlung oder Verwertung zuführen. Das sind zusammengenommen immer noch rund zwei Drittel der im Land anfallenden knapp 300.000 Tonnen (Stand 2003). Immerhin wird das letzte Drittel mittlerweile fast vollständig verbrannt.
Anders sieht es dagegen in Schleswig-Holstein aus. Hier sieht die Abfallwirtschaftsplanung 2000 - 2010 im Teilplan Klärschlamm eine weitere Verstärkung der landwirtschaftlichen Verwertung vor, wenn auch abgesichert durch hohe Qualitätsanforderungen. Hierzu wurde ein eigenes Konzept vorgelegt. Kein Wunder: Derzeit werden von rund 87.000 Tonnen Trockenmasse pro Jahr rund 86 Prozent in der Landwirtschaft verwertet. Der Rest wird kompostiert, vererdet oder verbrannt.
Ähnlich sieht die Interessenlage anderer Flächenländer aus. Überwiegend stofflich verwertet werden Klärschlamme - je nach gewachsener Struktur in Landwirtschaft, Landschaftsbau, Rekultivierung, Kompostierung, Vererdung etc. - in den Bundesländern Thüringen (zu 92 Prozent), Sachsen-Anhalt (92 Prozent), Rheinland-Pfalz (83 Prozent), Niedersachsen (82 Prozent), Sachsen (78 Prozent, Tendenz 100 Prozent), Hessen (67 Prozent) und Brandenburg (64 Prozent).
Überwiegend thermisch behandelt - Mono- oder Mitverbrennung inklusive thermische Verwertung - wird kommunaler Schlamm in Bremen (66 Prozent), im Saarland (72 Prozent) sowie in den Stadtstaaten Berlin (90 Prozent) und Hamburg (100 Prozent).
Je nach Ausgang der politischen Meinungsbildung in Berlin und Brüssel kommen spannende Zeiten oder entspanntes ,Weiter so' hinsichtlich der Bewirtschaftungskonzepte für Klärschlämme auf die Bundesländer zu.
Zusatzinformation Nährstoff-Lieferant oder Schadstoff-Senke?
Von den Befürwortern wird die landwirtschaftliche Nutzung des Klärschlamms auf Grund seines Gehaltes an organischer Substanz und Pflanzennährstoffen gerechtfertigt. Kunstdünger könne so eingespart werden und der Bodenstruktur tue der Schlamm obendrein noch gut. Außerdem sei kein Düngemittel frei von Schadstoffen. Darüber hinaus seien die Schadstoffgehalte in kommunalen Schlämmen in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken und lägen heute weit unter den derzeit gültigen Grenzwerten.
Dies wird auch durch den jüngsten Klärschlamm-Bericht der Bundesregierung bestätigt. Danach hat sich der Trend abnehmender Gehalte zumindest bei den wichtigsten Parametern wie Blei, Cadmium, Chrom, Quecksilber und Zink fortgesetzt. Und bei den Elementen Kupfer und Nickel habe sich zumindest eine Belastungsstagnation eingestellt.
Gegner der landwirtschaftlichen Verwertung sehen in den Schlämmen aus der Abwasserreinigung vor allem Schadstoff-Senken, vergleichbar den Filterstäuben aus der Abluftreinigung. Eine dauerhafte Aufbringung auf Äcker und Weiden führe über kurz oder lang zu einer Anreicherung von Schadstoffen in den Böden. Wenn sie in die Nahrungskette gelangten, seien die Folgen für das Wohlergehen von Mensch und Tier nicht absehbar. Dazu bestehe noch ein zu großes Defizit an Kenntnis und Forschung. Vor allem über das Vorkommen und die Wirkung organischer Schadstoffe in Schlämmen und Böden wisse man noch zu wenig.
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Autorenhinweis: Heinz-Wilhelm Simon