Die TASi war der Anfang - Kann Deutschland auf Hausmülldeponien ganz verzichten?

Seit Juni letzten Jahres darf normaler Siedlungsmüll nicht mehr ohne Vorbehandlung deponiert werden. Die TASi markiert aber nur den Anfang. Bereits 1999 hat das Bundesumweltministerium ein weit ehrgeizigeres Ziel formuliert: Bis 2020 sollen Siedlungsabfälle überhaupt nicht mehr auf die Kippe, sondern komplett verwertet werden. Eine Studie kommt jetzt zu dem Ergebnis, dass das vorhandene Know-how eine hochwertige und umweltverträgliche Verwertung aller Siedlungsabfälle möglich macht.

21.02.2006 Die Entsorgung von Hausmüll, organischen Abfällen und Müll aus Kleingewerbe und Handwerk ist um einiges komplizierter geworden: Seit 1. Juni 2005 versperrt die TASi Siedlungsabfällen den direkten Weg auf die Deponie. Die Abfälle müssen laut Technischer Anleitung Siedlungsabfall seither so vorbehandelt werden, dass ihre organischen Anteile weitgehend mineralisiert sind, bevor sie abgelagert werden. Damit will der Gesetzgeber verhindern, dass aus heute abgelagertem Müll über viele Jahrzehnte unkontrolliert Schadstoffe in Boden, Luft und Wasser entweichen.

Auch ohne TASi war schon vor Jahren klar, dass ein Ende für die Deponien absehbar ist: Mülldeponien sind nicht mit dem Leitbild der Nachhaltigkeit und der Gewährleistung einer sicheren Umwelt für nachkommende Generationen vereinbar. Das war 1999 die Basis für eine ehrgeizige Vorgabe aus dem Bundesumweltministerium. Bis spätestens 2020, so der Kern von "Ziel 2020" sollen die Behandlungstechniken so weiterentwickelt und ausgebaut werden, dass alle Siedlungsabfälle vollständig und umweltverträglich verwertet werden können.

Doch daraus ergeben sich einige Fragen. Politische Ziele sind die eine Seite, ihre Umsetzung die andere. Verfügt Deutschland über das Know-how und die technischen Kapazitäten, um alle Siedlungsabfälle zu verwerten? Welche Verfahren kommen in Frage? Welche Kosten entstehen dadurch für die Entsorgung? Was bedeutet eine Abkehr von den Deponien für den Stand der Verwertungstechnik? Diese Fragen hat das Berliner Institut für Internationale und Europäische Umweltpolitik (Ecologic) im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) jetzt untersucht.

"Im Prinzip ist es möglich, dass Deutschland seine Siedlungsabfälle bis zum Jahr 2020 komplett verwerten kann", fasst Alexander Neubauer von Ecologic die Ergebnisse der Untersuchung zusammen. Die Berliner haben analysiert, wie Wertstoffe und energiereiche Anteile in Siedlungsabfällen möglichst vollständig genutzt werden können. Hierfür wurden insgesamt acht verschiedene Behandlungsverfahren untersucht und zu sieben Szenarien miteinander kombiniert. Einige der Methoden sind bereits großtechnisch verwirklicht, andere befinden sich noch in der Erprobungsphase. Zu den Verfahren gehören Müllverbrennung, Mitverbrennung von Abfällen in Kohlekraftwerken und Zementwerken, mechanisch-biologische Verfahren, Vergasung, Pyrolyse und Methoden zur werkstofflichen Verwertung.
 
Um die einzelnen Szenarien vergleichen zu können, definierte Ecologic mehrere zentrale Kriterien: Die Verwertung muss eine hohe Energieausbeute haben, sie muss zu Produkten führen, die möglichst sauber sind und sich weiterverwerten lassen, sie sollte geringe Emissionen haben, technisch zuverlässig sein und keine unverhältnismäßig hohen Kosten verursachen.

Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass eine Vielzahl von Verfahren und Verfahrenskombinationen denkbar ist, die bis zum Jahr 2020 eine umweltverträgliche Entsorgung und Verwertung aller Siedlungsabfälle möglich machen. Generell gilt: Keines der Szenarien kommt ohne eine Verbrennung aus, nur so können Volumen und Gewicht des Inputs drastisch reduziert werden. Die meisten Szenarien legen den Schwerpunkt daher auf die thermische Verwertung und auf die Erzeugung von Ersatzbrennstoff für Zementöfen und Kraftwerke. Nicht zuletzt: Eine werkstoffliche Verwertung ist nicht per se besser als eine thermische - welche Alternative umweltverträglicher ist, muss im Einzelfall geprüft werden.

Ein Verzicht auf Deponien ist außerdem "unabhängig von der jeweiligen Beschaffenheit der häuslichen Restabfälle in den verschiedenen deutschen Regionen möglich", sind die Berliner überzeugt. Und er ist unabhängig davon, ob es in Deutschland weiterhin eine Getrenntsammlung von haushaltsnahen Verpackungsabfällen mit dem Grünen Punkt geben wird. "Die Verfahrenskombinationen ermöglichen die Erreichung des Ziels 2020 grundsätzlich auch unabhängig von dem existierenden System der Abfallsammlung, insbesondere der LVP-Getrenntsammlung," formulieren die Autoren in ihrer Studie.
 
Deponieren war in der Vergangenheit die billigste Methode, Abfälle zu beseitigen. Kein Wunder also, dass die Kosten der untersuchten Szenarien höher liegen. Insbesondere in denjenigen Kommunen, die bisher stark auf die Deponierung gesetzt haben, ist eine Erhöhung der Abfallgebühren wahrscheinlich. Die einzelnen Szenarien bedeuten Verwertungskosten zwischen 100 und 170 Euro pro Tonne. Das ist zwar um ein Mehrfaches teurer als die bisherige Deponierung, "sie sind aber insgesamt - vor dem Hintergrund des mit dem Ziel 2020 verfolgten, hohen ökologischen Niveaus der Abfallbehandlung - nicht unverhältnismäßig teuer", betont die Studie. Vor allem stehe den entsorgungspflichtigen Körperschaften eine große Bandbreite von Verfahren und Kombinationen zur Verfügung, so dass jede Region das für sie jeweils wirtschaftlichste System aufbauen kann und zwar abhängig vom vorhandenen oder geplanten Anlagenpark, der Siedlungsdichte, dem Transportaufwand und der Nachfrage nach Ersatzbrennstoffen und Fernwärme.

Ob in Deutschland das "Ziel 2020" umgesetzt wird, ist freilich offen. Denn die entsorgungspflichtigen Körperschaften sind rechtlich nicht verpflichtet, für eine möglichst umfassende und umweltverträgliche Verwertung ihrer Siedlungsabfälle und der Verwertungsprodukte zu sorgen. Allerdings hat die TASi bei vielen ein Umdenken eingeleitet. "Es ist zu erwarten, dass im Rahmen dieser Umorientierung von der schlichten Ablagerung auf eine Vorbehandlung der Abfälle bereits einzelne abfallwirtschaftliche Akteure auf Behandlungswege setzen werden, die dem Ziel 2020 sehr nahe kommen", urteilen die Berliner Wissenschaftler. Berlin macht vor, wie das aussehen könnte: Die Hauptstadt will künftig rund die Hälfte ihrer Siedlungsabfälle verbrennen, für die andere Hälfte kommen Rotteverfahren, die mechanisch-physikalische Stabilisierung und die Mitverbrennung von erzeugten Ersatzbrennstoffen in Kraftwerk und Zementofen zum Einsatz.
 
Auch wenn die vollständige Verwertung von Siedlungsabfällen ein rechtlich unverbindliches Ziel bleiben sollte: Eine Qualitätssprung in der Abfallentsorgung hätte nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche Vorteile. Ecologic sieht im "Ziel 2020" die Chance, dass Deutschland europaweit zum Vorreiter in der Abfallverwertung wird. Ein Ende der Deponien wird nicht nur in Deutschland, sondern mittlerweile auch in der EU diskutiert. Das europäische Parlament hat im vergangenen Jahr erstmals die Beendigung der Deponierung von biologisch abbaubaren Abfällen bis 2010, von allen Siedlungsabfällen bis zum Jahr 2025 thematisiert. Ein Aus für die europäischen Deponien soll nach dem Willen des EU-Parlaments in der neuen "Thematischen Strategie für Abfallvermeidung und -recycling" festgeschrieben werden, die die Umweltpolitiker in Brüssel derzeit diskutieren.

Unternehmen, Behörden + Verbände: UBA, BMU
Autorenhinweis: Christa Friedl



Copyright: © Deutscher Fachverlag (DFV)
Quelle: Januar/Februar 2006 (Februar 2006)
Seiten: 2
Preis: € 0,00
Autor: Christa Friedl
 
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