Wege aus dem Treibhaus - Müllverbrennung schobt das Klima
Im Abfall steckt eine Menge Energie, die bislang nur unzulänglich genutzt wird. Dabei käme das dem Klima zugute. Und es müsste nicht einmal in neue Technologien investiert werden. In vielen Fälle erfüllt eine zusätzliche Turbine in konventionellen Müllheizwerken den gleichen Zweck.
(23.02.07) Die deutsche Abfallwirtschaft leistet bereits einen beträchtlichen Beitrag zum Schutz des Klimas. Allein durch das Verbot, Abfälle ohne vorherige Behandlung abzulagern, werden Jahr für Jahr rund 20 Mio. Tonnen weniger an Kohlendioxid (CO
2) und äquivalenten Stoffen, die zur Erwärmung der Erd-Atmosphäre beitragen, freigesetzt.
Aber auch thermische Verfahren zur Abfallbehandlung bieten ein erhebliches Minderungspotenzial für den Ausstoß von Treibhausgasen. Vor allem wenn sie hierbei Strom und Wärme über den Eigenbedarf hinaus erzeugen, so dass fossile Rohstoffe wie Kohle, Erdöl oder Erdgas für die öffentliche Energieversorgung eingespart werden.
Hierzu muss nicht einmal unbedingt in neue, auf energetische Abfall-Verwertung spezialisierte Anlagen investiert werden. Unter Umständen reicht es, bestehende Müllverbrennungsanlagen mit Blick auf eine energieoptimierte Fahrweise zu modernisieren.
Bestätigt wird dies durch eine Studie zur ,ökologischen Bewertung verschiedener Optionen zur energetischen Verwertung heizwertreicher Abfälle', der Bremer Energie-Konsens GmbH - die Klimaschutzagentur der Hansestadt. Durchgeführt wurde sie vom Institut für Kreislaufwirtschaft GmbH (Bremen) in Kooperation mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH (Wuppertal).
In der Studie wurden drei Szenarien anhand der Problemfelder Klimarelevanz, Versauerungspotenzial und Ressourcenschutz verglichen. Berücksichtigt werden sollten dabei auch die bestehenden Entsorgungsstrukturen und Planungen in Bremen. Rechnung getragen wurde dem, indem das bestehende Müllheizwerk nach aktuellem technischen Stand zur einer der Vergleichsvarianten erkoren wurde (Variante 2).
Die Basis-Variante bildet die rückständige, heute nicht mehr zulässige Methode, Abfälle unbehandelt auf einer Standard-Deponie der Klasse II abzulagern (Variante 1). Das andere Extrem, die unter Klima-Aspekten fortschrittlichste Option, stellt die Variante 3. Ausgewählt wurde die Aufbereitung von Siedlungsabfällen zu Sekundärbrennstoff (SBS) mit anschließender Pyrolyse in Kombination mit einem Steinkohlekraftwerk.
Bezugsbasis der Studie sind 198.000 Tonnen Bremer Abfall-Mix. Diese Menge entspricht dem jährlichen Aufkommen an Siedlungsabfall in der Hansestadt (siehe Tabelle).
Für diese Zusammensetzung errechnete die Studie einen mittleren Heizwert von 11,8 Megajoule pro Kilogramm Abfall. Hieraufhin setzte die Studie für den Abfall-Mix Bremens einen klimarelevanten spezifischen Emissionsfaktor von 45 Tonnen CO 2 pro Terajoule an. Zum Vergleich: Ein Terajoule entspricht 278.000 Kilowattstunden (kWh). Damit könnten rund 110 Bremer Durchschnittshaushalte ein Jahr lang mit Strom versorgt werden.
Bei der Aufbereitung der 198.000 Tonnen Gesamt-Abfall, wie im Fortschritts-Szenario vorgesehen, springen lediglich knapp 92.000 Tonnen an Ersatzbrennstoff heraus. Das sind knapp 47 Masse-Prozent der Bremer Mischung. Über 32.000 Tonnen Baustellenabfall und Sperrmüll (ca. 16 Prozent) finden erst gar nicht in die Aufbereitung, sondern gelangen sofort in der Müllverbrennung. Den gleichen Weg nehmen schließlich auch die knapp 74.000 Tonnen Sortiertierreste (ca. 37 Prozent) nach der Aufbereitung.
Der Ersatzbrennstoff erreicht dafür einen Heizwert von 16,69 Megajoule pro Kilogramm Abfall. Die Sortierreste bringen es dagegen nur auf 8,55 Megajoule pro Kilo. Entsprechend errechnet sich als spezifischer Emissionsfaktor für den Ersatzbrennstoff 42,5 Tonnen CO 2 pro Terajoule. Der für die Sortierreste liegt bei 45,5 Tonnen CO
2 pro Terajoule.
Grundlage für den Vergleich der drei Szenarien bildet die Analyse der jeweiligen Stoffströme. Dabei werden die Lebenszyklen der verschiedenen Zwischenprodukte und Stoffe des Abfalls auf dem Weg zum Endprodukt Strom oder Wärme anteilig betrachtet. Startlinie der Bilanzierung war die Anfallstelle des Abfalls, so dass auch die Belastungen durch Transporte inklusive der dazugehörigen Vorketten für die Kraftstoff-Erzeugung eingerechnet wurden.
Für Variante 1 - Deponie mit einer Kapazität von 200.000 Tonnen pro Jahr - ist der System- Rahmen: Transport des Abfalls zur Deponie - Einbau in den Deponiekörper - Sickerwasserbehandlung durch biologische Behandlung, Umkehrosmose und Verdampfung - Deponiegaserfassung und Stromerzeugung in einem Block-Heiz-Kraft-Werk (BHKW).
Variante 2 - Müllheizwerk (MHW) Bremen nach Verfahrensstand 2006 inklusiver einer neuen, zweiten Turbine - hat die System-Eingrenzung: Abfalltransport zum MHW - Betrieb der Anlage inklusive Aufbereitung, Verbrennungskessel, Turbine, Rauchgasreinigung - Transport der Rückstände zur Deponie samt Ablagerung.
Bei Variante 3 - Sekundärbrennstoff (SBS)- Aufbereitung mit Pyrolyse in Verbindung mit einem Steinkohlekraftwerk - war der umfassendste System-Rahmen vonnöten: Transport zur Aufbereitungsanlage - SBS-Aufbereitung - Transport zur Pyrolyse-Anlage - Pyrolyse - Energieerzeugung im Kohlekraftwerk - Transport der Rückstände zur Deponie - Ablagerung. Außerdem: Transport der SBS-Sortierreste zum MHW Bremen - Anlagenbetrieb - Transport der Rückstände zur Deponie - Ablagerung.
Um die Umweltwirkungen der drei Vergleichsszenarien zu bilanzieren, reicht es nicht, lediglich die Schadstoff-Emissionen zu erfassen. Schließlich erzeugen sie auch einen Nutzen in Form von Strom und Wärme, der außerhalb der Anlagen zum Tragen kommt und so alternative fossile Energieträger schont. Ihn gilt es den Umweltbelastungen gegen zurechnen. Hierzu bedient sich die Studie der Gutschrift-Methode: Erzeugt ein Verfahren beispielsweise extern verwerteten Strom, so werden diejenigen Umweltbelastungen von der Gesamtbelastung des Verfahrens abgezogen, die bei einer alternativen Stromerzeugung entstehen würden. Ist die Gutschrift größer als die Umweltbelastung durch die Anlage, ergibt sich insgesamt gar ein Schadstoff-Einsparpotenzial.
Der Treibhauseffekt der drei Szenarien wird durch deren Ausstoß an Kohlendioxid (CO
2) und Methan (CH
4) erfasst. Um für den Effekt eine einheitliche Bezugsgröße zu erlangen, wurden die Methan-Emissionen mit dem Faktor 21 in CO
2-Äquivalente umgerechnet. Eine Einheit CH
4 richtet demnach soviel Schaden an wie 21 Einheiten CO
2. Berücksichtigt wurden allerdings nur die klimarelevanten Emissionen, die nicht aus regenerativen Quellen stammen. Als regenerativ werden kohlenstoffhaltige Substanzen dann eingestuft, wenn sie sich klimaneutral verhalten, da das frei werdende CO
2 zuvor aus der Atmosphäre gebunden wurde wie Pappe, Papier, Karton, Holz, Textilien aus Naturfasern und Biomasse.
Basisgröße für die Abschätzung des Versauerungspotenzials der Szenarien ist die Emission von Schwefeldioxid (SO
2). Berücksichtigt wurden in der Studie hier aber auch Chlorwasserstoff (HCl / Umrechnungsfaktor 0,88), Fluorwasserstoff (HF / 1,6), Ammoniak (NH
3 / 1,88) und Stickoxid (NOx / 0,7).
Zur Beurteilung des Ressourcen-Verbrauchs zieht die Studie im Wesentlichen die Energiebilanz der Vergleichsszenarien heran. Die fiel, wie nicht anders zu erwarten, für die Standard-TASi-Deponie (Variante 1) am ungünstigsten aus. Insgesamt steckt in den 198.000 Tonnen Bremer Abfall-Mix Energie in Höhe von rund 649 Gigawattstunden (GWh). Hinzu gerechnet wurden noch rund 11 GWh, die für Kompaktor, Sickerwasserreinigung und Transport benötigt wurden. Von diesem Gesamteintrag an Energie gehen über 95 Prozent verloren, sind gebunden im Deponiekörper oder verflüchtigen sich als Abwärme des Blockheizkraftwerkes. Extern verwertet werden können nur rund 21 im BHKW erzeugte Gigawattstunden. Externer Energie-Nutzungsgrad der Variante 1: ganze 3,2 Prozent.
In Variante 2 (MHW-Bremen) können dagegen rund 26 Prozent (172 GWh) der Energie im Abfall extern verwertet werden. Zusätzlich werden rund 89 GWh (13 Prozent) gewonnen, die den Eigenbedarf decken. Bleiben immer noch Energie-Verluste in Höhe von über 60 Prozent.
Die konnten in Variante 3 (Pyrolyse) immerhin auf einen Anteilswert von 55 Prozent gedrückt werden. Für den Eigenbedarf werden knapp 84 GWh erzeugt. Größte Energie-Fresser sind hierbei die Frischluft-Vorwärmung im Pyrolyse-Verfahren sowie der Dampf- und Strom- Verbrauch im MHW. Übrig bleiben dennoch rund 212 GWh oder 32 Prozent der Gesamt-Energie, die extern genutzt werden können.
Die Deponie-Variante trägt am stärksten zum Treibhauseffekt bei. Ursächlich hierfür ist vor allem das CH
4 , das nicht im Deponiegas erfasst werden kann. Die Emissionen an CO
2 -Äquivalenten dürften im Schnitt bei rund 114.000 Tonnen pro Jahr liegen, können aber bis zu 150.000 Tonnen erreichen.
Deutlich günstiger liegt da die MHW-Variante mit jährlich rund 60.300 Tonnen CO
2. Im Vergleich zur Deponierung von unbehandelten Abfällen ergibt sich hieraus eine CO
2-Ersparnis von mehr als 53.000 Tonnen pro Jahr. Noch einmal deutlich weniger, nämlich rund 41.800 Tonnen CO
2 pro Jahr fallen in der dritten Varianten an, rund 72.000 Tonnen weniger als in der Deponie. Etwa drei Viertel hiervon gehen auf das Konto der Pyrolyse-Anlage. Der Rest stammt aus der Verbrennung der Sortierreste im MHW Bremen.
Im Gegensatz zur Treibhausrelevanz fällt die Deponie hinsichtlich des Versauerungspotenzials nicht ins Gewicht, liegt um zwei Zehnerpotenzen niedriger als die Vergleichsvarianten. Bei denen schneidet die SBS-Aufbereitung plus Pyrolyse mit der Emission von rund 42 Tonnen SO
2 -Äquivalenten um gut 103 Tonnen günstiger ab als das MHW-Bremen (knapp 146 Tonnen).
Insbesondere die Einsparungen des MHW und des Pyrolyse-Verfahrens hinsichtlich der CO
2 -Emissionen im Vergleich zur Basis-Variante Deponie belegen laut Studie den direkten Einfluss der energetischen Nutzung von Abfällen auf die Möglichkeiten zum Klimaschutz. Dabei sei zudem noch zu berücksichtigen, dass das Müllheizwerk ein integraler Bestandteil des Pyrolyse-Verfahrens sei. Denn Abfälle, die sich nicht zur Pyrolyse eignen, würden im MHW weiterbehandelt. Das sind immerhin rund 106.000 Tonnen der insgesamt zu behandelnden 198.000 Tonnen Bremer Siedlungsabfall. Damit stelle die Pyrolyse keinen Ersatz, sondern eher eine Ergänzung zum MHW dar.
So hat die Studie für den Fall einer Verdopplung der Stromproduktion im MHW-Bremen durch den Einsatz einer zusätzlichen dritten Turbine errechnet, dass die Emission von CO
2-Äquvalenten sogar leicht unter das Niveau der Pyrolyse-Variante von rund 42.000 Tonnen pro Jahr sinkt. Energieoptimierte konventionelle thermische Abfallbehandlungsanlagen können demnach zu den selben Klimaschutz-Zielen führen wie innovative neue Techniken.
Zusatz-Information: Ausbeute verbessert
Zum Hintergrund der Studie gehört das Bremer Landesenergieprogramm aus dem Jahr 1996, das Ende November 2005 zum dritten Mal verlängert wurde. Ziel der Hansestadt ist danach, den Ausstoß an Treibhausgasen um mindestens 700.000 Tonnen pro Jahr gegenüber 1993 zu mindern. Erreicht wurde mittlerweile eine Senkung der Emissionen an CO2-Äquivalenten in Höhe von rund 500.000 Tonnen. Spürbaren Anteil an diesem Ergebnis hat, neben der vermehrten Stromerzeugung aus Gichtgas, Windkraft, Photovoltaik sowie Abwärmenutzung aus Kraft-Wärme-Kopplung, auch die Energienutzung im Müllheizwerk (MHW) Bremen. Ursächlich hierfür ist die Inbetriebnahme einer zweiten Turbine mit einer elektrischen Leistung von 12,5 Megawatt (MW). Bisher war nur eine kleine Turbine mit 2,8 MW installiert.
Unternehmen, Behörden + Verbände:
Autorenhinweis: Heinz-Wilhelm Simon
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