Vor dem Hintergrund von steigenden Energiepreisen und Ressourcenverknappung spielen Abfälle künftig als Energieträger eine größere Rolle.Am Beispiel von swb in Bremen wird die Entwicklung der letzten Jahre beschrieben: von den Möglichkeiten und Grenzen direkter Mitverbrennung in Steinkohle-Blöcke über andere technologische Ansätze bis zum Mittelkalorik-Kraftwerk (MKK).
(07.05.07) Beim Mittelkalorik-Kraftwerk der swb in Bremen ist die Entwicklung sehr fortgeschritten: Seit Dezember 2006 ist das MKK kein Projekt mehr, wie viele andere, sondern eine konkrete Anlage im Bau, die bereits 2009 in Betrieb sein wird. swb steht für Ver- und Entsorgung Bremen, Bremerhaven und darüber hinaus in Norddeutschland. swb Erzeugung ist der Spezialist für Strom- und Wärmeerzeugung und betreibt sechs Kraftwerksblöcke an drei Standorten auf Basis von Steinkohle, Erd- und Gichtgas. Die installierte Gesamtleistung beträgt rund 1.000 MW (Strom) und 600 MW (Wärme).
Im Bereich Entsorgung ist swb seit fast zehn Jahren in Norddeutschland mit dem Entwicklungsfokus auf der Abfallverbrennung aktiv. Ein Beispiel hierfür ist die Beteiligung am Müllheizwerk Bremen, das seit März 2007 nach einer Modernisierung und Erweiterung mit einem Volumen von über 100 Mio. Euro über eine Kapazität von 560.000 Mg/a (bei 10,5 MJ/kg) verfügt. Ein anderes Beispiel ist das nachfolgend beschriebene ,Mittelkalorik-Kraftwerk'.
Als swb vor zehn Jahren die Entsorgungsaktivitäten aufnahm, sollte von Anfang die Entsorgung mit der Erzeugung verknüpft werden. Wer solche Synergien sucht, muss jedoch zunächst die Strategien der beiden Geschäftsfelder für sich betrachten: Energieerzeugung ist eine output-orientierte Aktivität: Effektive und effiziente Energieproduktion müssen primär das Produkt Energie mit hohem Ergebnis und großer Versorgungssicherheit garantieren. Die direkte Mitverbrennung von Abfällen in Kraftwerken ist eine Sekundärstrategie. Abfallentsorgung ist dagegen eine input-orientierte Aktivität: Effektive und effiziente Abfallentsorgung müssen primär die Entsorgung von Abfällen mit hohem Ergebnis und großer Entsorgungssicherheit garantieren. Hier ist die Erzeugung von Dampf und Strom eine Sekundärstrategie.
Will man beide Geschäftsfelder koppeln, muss man möglichst viel gemeinsamen Nutzen finden, ohne jeweils die Primärstrategien zu gefährden. Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren verschiedene ,waste to energy'-Konzepte entwickelt und teilweise umgesetzt.
Die Liberalisierung des Strommarktes 1998 wirkte sich gravierend auf Stromerzeuger aus: Ein ruinöser Preiswettbewerb forderte eine deutliche Reduzierung der Kosten. swb setzte neben dem Einsatz von Weltmarktkohle auch auf die Verfeuerung von Sekundärbrennstoffen. Die Tabelle zeigt Arten und Mengen der seitdem eingesetzten Sekundärbrennstoffe.
Beim Einsatz von Sekundärbrennstoffen in den swb-Kraftwerken gibt es zahlreiche Probleme, die an wenigen Beispielen erläutert werden sollen:
Verschlackung des Feuerraums
Katalysator-Blinding
Verschlechterung des Wirkungsgrads
erhöhter Einsatz von Betriebsmitteln
Hochtemperatur-Chlorkorrosion sowie Schwefelsäure-Korrosion
Überschreitung von Emissionsgrenzwerten
Beeinträchtigung der Qualität von Reststoffen
Die z.B. beim Einsatz von Tiermehl auftretenden Probleme wie Verschlackungs- und Verschmutzungsneigung von Heizflächen, Verkittung der Flugasche und Schädigung des Katalysators konnte swb zwar durch die Anpassung und Zermahlung des Brennstoffs und eine Steigerung des Primär- und Sekundärluftanteils in den Griff bekommen und erreichte so einen störungsarmen Betrieb bei fünfprozentigem Tiermehlzusatz. Jedoch: Die Betriebskosten steigen und der Gesamtwirkungsgrad sinkt.
Die Mitverbrennung von Petrolkoks führt zu einer Steigerung der SO 2 - und SO 3 -Konzentration im Rauchgas. Mit Wasserdampf bildet sich stark hygroskopische Schwefelsäure, die die Luftvorwärmer-Korrosion und Verklumpung der Flugasche beschleunigt und zu Störungen an den Flugasche-Förderungen führt. Ferner verringert der Petrolkoks die entstehende Flugaschemenge. Folglich erhöht sich die NH 3 -Konzentration in der verbliebenen Menge und gefährdet die Verwertbarkeit der Flugasche. Zusätzlich kann sich Ammoniumhydrogensulfat bilden, das an den Luftvorwärmern kondensiert und zum starken Anstieg des Druckverlusts führt. Um diesen Problemen entgegen zu wirken, hat swb die Bekalkung gesteigert, und die Betriebstemperatur des Luftvorwärmers erhöht.
Ein weiteres Risiko ist ungenügender Ausbrand, der z.B. den Großteil von Sekundärbrennstoffen aus Siedlungsabfällen ausschließt. Die geringe Verweilzeit des Brennstoffs in den staubgefeuerten Kraftwerkskessel (ca. 1 s) führt dazu, dass z.B. unverbrannte Kunststoff- oder Holzteilchen die Kraftwerksreststoffe verunreinigt und somit die bisher gesicherte Verwertung der Kraftwerksreststoffe in der Baustoffindustrie gefährdet wird.
Als weitere Kostentreiber können sich die Lagerung und Förderung der Sekundärbrennstoffe erweisen. Zusätzlich ist noch das deutsche Recht zu beachten: Die 13. bzw. 17. BImSchV fordern ein formales Genehmigungsverfahren, evtl. einen erhöhten Messaufwand (z.B. Quecksilber oder Dioxine) und evtl. eine Verschärfung der Grenzwerte. Bereits diese wenigen Beispiele zeigen, wie begrenzt einerseits die Menge und Art des Sekundärbrennstoffs sein kann, wie aufwendig aber andererseits die Maßnahmen sind, um die Energieproduktion nicht zu beeinträchtigen.
Die achtjährige swb-Erfahrung mit Sekundärbrennstoffen hat ergeben: Mitverbrennung ist in der Regel technisch möglich. swb konnte einen störungsarmen Betrieb aber nur nach Betriebsoptimierung realisieren. Kostenerhöhung und Wirkungsgradsenkung sind die Folgen, die eingepreist werden müssen.
Wie sieht es bei den zahlreichen Kraftwerks-Neubauprojekten aus? Überalterte Kraftwerkskapazitäten und eine steigende Stromnachfrage führen in Deutschland und Europa zu zahlreichen Kraftwerks-Neubauprojekten, vor allem großer Kohle- oder Gaskraftwerke. Auch swb plant am swb-Standort in Bremen-Mittelsbüren einen Steinkohleblock (,Block 21') mit 910 MW
el, der 2012 in Betrieb gehen soll. Solche Projekte erfordern hohen Kapitaleinsatz (bis zu 1 Mrd. Euro). Die Betreiber erstreben hohe Verfügbarkeiten, hohe Reisezeiten und einen hohen Wirkungsgrad; d.h. Betreiber vermeiden störende Einflüsse wie den Eintrag von Schadstoffen in den Kessel durch direkte Mitverbrennung. swb geht daher - wie auch andere Kraftwerksbetreiber - davon aus, dass direkte Mitverbrennung zukünftig nur noch in "alten" Braun- oder Steinkohleblöcken stattfindet. Da immer mehr alte Anlagen stillgelegt werden, wird die Verwertung von Ersatzbrennstoffen in Kraftwerken abnehmen.
Seit 2003 sucht swb nach weiteren Möglichkeiten, die ,waste to energy'-Strategie zu realisieren. Da u.a. die Korngröße und die Kessel-Verweilzeit der Brennstoffe ein Problem war, sollte eine Vergasung Abhilfe schaffen. Vor den Kraftwerksblock wollte swb eine Pyrolyseanlage schalten, in der Abfälle in ein Gas umgewandelt werden sollten. Das Pyrolysegas sollte bis zu 20 Prozent der Steinkohle dauerhaft verdrängen. swb konnte das Projekt aber trotz einer vorliegenden BImSchG-Genehmigung nur bis zur Ausschreibung entwickeln. Die Resonanz auf die EU-weite Ausschreibung: Kein Anlagenbauer konnte Verfügbarkeitsgarantien geben, die den Kraftwerksstandards entsprachen. swb musste die Ausschreibung aufheben und konnte die Anlage nicht realisieren. Im Rückblick vielleicht erklärbar: Der Anlagenbauer-Markt war und ist stark konsolidiert und die Nachfrage hoch. So wollte keiner innovative Konzepte realisieren. Da sich diese Markteffekte bis heute nicht verändert haben legte swb die ursprüngliche Idee "zu den Akten", und verfolgt andere Ansätze.
Bereits während der Entwicklung der Pyrolyseanlage erarbeitete swb eine weitere Konzeptstudie: Untersucht wurde eine rostgefeuerte Abfallverbrennung, die Hilfs-Dampf für das Kraftwerk produzieren und so Steinkohle einsparen sollte. Der Vorteil einer solchen Anlage ist, dass sie keine eigene Turbine braucht. Wird allerdings kein Dampf benötigt, muss sie in Teillast gehen, was die Entsorgungssicherheit mindert oder der Dampf kann nicht genutzt werden, was die Wirtschaftlichkeit verschlechtert. Weil die beiden Steinkohleblöcke am Standort zwar Grundlastblöcke sind, aber nachts und an Wochenenden in Teillast gefahren werden, reduzierten sich die Volllastbenutzungsstunden auf 6.200 h/a. Das entspricht nicht den Anforderungen des Abfallmarkts und beeinträchtigt die Wirtschaftlichkeit. Deshalb variierte swb das Konzept und entwickelte eine Abfallverbrennungsanlage mit eigener Stromproduktion: das ,Mittelkalorik-Kraftwerk' (MKK).
Das MKK umfasst eine einlinige, wassergekühlte Rostfeuerung mit einer Feuerungswärmeleistung von 110 MW und einem Durchsatz von 226.000 Mg/a bei einem spez. Heizwert von 14 MJ/kg. Geplant sind 8.000 h/a Verfügbarkeit, also 91 Prozent. Das breite Heizwertfenster von 11-20 MJ/kg entspricht dem Marktbedarf: Speziell für mittelkalorische Abfälle (Gewerbeabfälle, Sortierreste, MBA-Reste) fehlen noch thermische Kapazitäten. Die Anlage verfügt über eine eigene Turbine mit einer Nettoleistung von 27,5 MW (25 Prozent Nettowirkungsgrad) und soll 220.000 MWh Strom produzieren, immerhin der Strombedarf von etwa 60.000 Haushalten.
Im Dezember 2006 schloss swb die Akquisition der Basisauslastung von 60 Prozent termingerecht ab. Bis zu dahin kamen zehn Verträge mit fast 140.000 Mg/a für zehn Jahren verbindlich zustande. Seit Anfang 2007 vermarktet swb die Restkapazitäten. Dabei zeigt sich eine starke Nachfrage: Der Entsorgungsmarkt sucht belastbare Lösungen und konkrete Kapazitäten und nicht Projekte, die in der Projektentwicklung scheitern.
swb konnte sich in einem Markt, der aus Sicht der Anlagenbauer übersättigt ist, erfolgreich durchsetzen: Inzwischen sind bereits vier von acht Baulosen (Rost/Kessel, Rauchgasreinigung, Rückbau und Turbine) mit namhaften Anbietern endverhandelt und beauftragt. Etwa 70 Prozent des Baubudgets sind damit vergeben, die Rückbau-Maßnahmen am Standort haben bereits begonnen. Im Moment wird die Ausschreibung des Wasser-Dampf-Kreislaufes und der Bautechnik vorbereitet; alle weiteren Lose wird swb noch bis Mitte 2007 beauftragen. Danach beginnt die Montage der Anlage. MKK ist damit kein Projekt mehr wie viele andere, sondern eine Anlage im Bau und wird ab 2009 einen belastbaren Entsorgungsweg für mittelkalorische Abfälle und ressourcenschonende Energieerzeugung darstellen.
Autorenhinweis: Dr. Thomas Grommes, Dr. Frank Schumacher, Ingo Kruse, Hans Jaroni und Dr. Jürgen Stadtmüller, swb-Gruppe