Die neue Chemikaliengesetzgebung der EU betrifft nur die Chemieindustrie und ihre Kunden. Wer das glaubt, irrt. REACH nimmt auch Recycler in die Pflicht. Kunststoffverbände warnen gar, dass Brüssel mit dem Gesetz - ungeplant - das Ende des Recyclings einläutet. REACH wurde am 18. Dezember 2006 vom Umweltrat beschlossen und tritt am 01. Juni 2007 in Kraft.
(28.02.07) Mit der Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals) schlägt Brüssel in der Umweltgesetzgebung ein neues Kapitel auf. Ein besonders dickes: Auf über 850 Seiten beschreibt das im vergangenen Dezember verabschiedete Gesetzeswerk, wie und warum Hersteller und Importeure künftig chemische Stoffe untersuchen, bewerten, voranmelden und registrieren lassen müssen. Mutagene, biologisch nicht abbaubare oder Krebs auslösende Substanzen sollen durch ungefährlichere Alternativen ersetzt werden. Ziel des Kraftakts: die Gefahren durch Chemikalien für Mensch und Umwelt frühzeitig erkennen und minimieren. "Was bei elektrischen Geräten oder Automobilen schon lange gang und gäbe ist, gilt dann auch für Chemikalien und die daraus hergestellten Produkte: Sie sind auf ihre Sicherheit geprüft," lobt das Umweltbundesamt.
Ob das Gesetz gut ist für Gesundheit und Umwelt, wird sich weisen. Unvermeidlich ist in jedem Fall, dass ein solches Mammutwerk Konsequenzen hat, mit denen wenige gerechnet haben. Dazu gehören die Auswirkungen auf das Recycling und die Verwerterbranche. "Es liegt im Dunkeln, wie und in welchem Umfang sich REACH auswirken wird", sagt Dr. Thomas Probst vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) in Bonn (siehe Interview). "Klar ist nur, dass das Recycling von Sekundärrohstoffen betroffen ist".
Für reine Abfälle ist die Sachlage unumstritten. Das Sammeln, Sortieren und Aufbereiten von Altpapier, Altkunststoffen, Glas, Öl, Textilien, Altholz, Metallen, Schrotten, Bioabfällen, Ersatzbrennstoffen sowie Bauschutt fallen nicht unter die Pflichten von REACH. Das Gleiche gilt für das Sammeln, Sortieren und Aufbereiten von Verpackungen sowie von Elektro- und Elektronikschrott. Anders aber, wenn die aufbereiteten Materialien erneut als Produkte auf dem Markt landen. "Die Herstellung marktgängiger Zwischen- oder Endprodukte, bei denen die Abfalleigenschaft beendet ist und die somit den Produktregelungen unterliegen, sind Reach-relevant," formuliert Probst.
Agglomerate, Mahlgüter, Regranulate und Endprodukte, die Rezyklat enthalten, gehören laut REACH zu den "Zubereitungen". Damit unterliegen zunächst mal auch Betriebe, die Rezyklate herstellen und vermarkten, der Registrierungspflicht und müssen Stoffe zwischen Juni und November 2008 bei der europäischen Chemikalienagentur in Helsinki anmelden. Genau genommen gilt das nicht für die Polymere, sondern für Zusätze wie Stabilisatoren, Farbstoffe und andere Additive. Die Registrierungspflicht greift dann, wenn diese Chemikalien in Mengen über einer Jahrestonne im Produkt vorkommen und wenn sie sich von den Stoffen im Primärprodukt unterscheiden. Enthalten die Rezyklate CMR-Stoffe, also giftige oder umweltschädliche Substanzen, in einer Konzentration über 0,1 Prozent pro Stoff, greifen ab 2010 umfangreiche Pflichten: Die Chemikalienagentur fordert Daten über Giftigkeit und Umweltwirkungen der Substanzen und Angaben darüber, ob und wann die Chemikalie gegen eine unbedenkliche Alternative ersetzt werden kann. Das träfe beispielsweise Recycler von PVC und PET, da diese Kunststoffe Monomere, Füllstoffe, Stabilisatoren oder Weichmacher enthalten können, die in diese Kategorie fallen.
Zum Umgang mit Sekundärrohstoffen sagt REACH nur wenig Konkretes. Artikel 2 Absatz 7d nimmt Stoffe aus, die in Zubereitungen oder in Erzeugnissen vorkommen, die in der Gemeinschaft zurückgewonnen werden. Und zwar dann, wenn der aus dem Rückgewinnungsverfahren hervorgegangene Stoff mit dem bereits registrierten Primärstoff identisch ist und dem Recyclingbetrieb die laut Verordnung notwendigen Stoffdaten zur Verfügung stehen. "Hier liegt die Crux", sagt Helge Kleinwege, Europareferent des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE). Denn beim Recycling gehe es meist um inhomogene Abfälle, um Mischkunststoffe oder um Produkte, deren Zusammensetzung von Charge zu Charge variiert. Außerdem änderten während des Recyclingprozesses manche Stoffe ihre chemischen Eigenschaften.
Von großer Bedeutung ist laut Kleinwege die Schnittmenge zwischen REACH und der Abfallrahmenrichtlinie, die derzeit novelliert wird. Bei der ersten Lesung am 13. Februar lehnte das Europaparlament mit knapper Mehrheit einen Antrag ab, der gefordert hatte, Sekundärrohstoffe nicht als Produkte zu definieren und sie damit vom Chemikalienrecht auszunehmen. Mit Erlangung des Produktstatus würden Sekundärstoffe in den Anwendungsbereich von REACH fallen, warnt der BDE. Damit wäre die Kreislaufwirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig.
Auch die beiden europäischen Verbände EuPR und EuPC sehen die Verwertungsbranche in ganz Europa in Gefahr. Die Kosten für die notwendigen Untersuchungen und Anmeldungen lägen um ein Vielfaches höher als der Marktwert des Materials, was das gesamte Recycling unwirtschaftlich machen werde. Außerdem bestehe die Gefahr, dass Kunststoff verarbeitende Betriebe, die bisher auch Rezyklate nutzen, künftig nur noch Neumaterial einsetzen.
Nicht alle glauben, dass es so schlimm kommt. Dr. Klaus-Günther Steinhäuser, Leiter des Fachbereichs Chemikalien und biologische Sicherheit im Umweltbundesamt (UBA) in Dessau, hält die Klagen für übertrieben. "Die Auswirkungen von REACH auf die Recyclingwirtschaft werden minimal sein", sagt er. Nur wer Sekundärrohstoffe aus dem außereuropäischen Ausland importiere, sei künftig registrierungspflichtig.
Oder wer beim Recycling den Stoff chemisch verändert und daraus beispielsweise Säure produziert. Normalerweise aber, so Steinhäuser, sind Recycler nur Anwender chemischer Stoffe und für Anwender sieht das Gesetz keine Registrierungspflichten vor. Klar ist dennoch, dass das Recyclinggeschäft komplizierter wird. Komplizierter deswegen, weil viele grundsätzliche Fragen bislang nicht einwandfrei beantwortet sind: Wenn die Registrierung entfällt, solange das Rezyklat nur bereits registrierte Primärstoffe enthält - wer prüft die Gleichheit? Und was heißt identisch? Welche Abweichungen sind erlaubt? Und wie sind die Risiken einzuschätzen, wenn enthaltene Additive bei normalem Gebrauch nicht absichtlich freigesetzt werden? Komplizierter wird es aber auch deswegen, weil Stoffhersteller, Abnehmer, Abfallerzeuger und Verwerter sich bislang nicht über Stoffe und deren Risiken austauschen. Wer Abfälle als Rohstoff nutzt, weiß in der Regel wenig über deren Zusammensetzung oder Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt.
Genau hier sieht liegt vermutlich der größte Nutzen von REACH. Die Marktbeteiligten müssen anfangen, sich über die Stoffe, die sie verwenden und vermarkten, Gedanken zu machen. Sie müssen künftig kooperieren, Daten austauschen und gemeinsam Stoffe und deren Risiken bewerten. Steinhäuser: "Anders geht das nicht, wenn wir wollen, dass Chemikalien künftig sicherer sind als heute."
Christa Friedl
"REACH ist übergewichtig und praxisfern"
Copyright: | © Deutscher Fachverlag (DFV) |
Quelle: | Januar/Februar 2007 (Februar 2007) |
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Preis: | € 0,00 |
Autor: | Christa Friedl |
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