Nicht nur die Milch macht's - Abwasser-Contracting in der milchverarbeitenden Industrie

Die Akquisition von Contracting-Aufträgen ist nach wie vor kein Selbstläufer. Nicht nur das wirtschaftliche, auch das technische Konzept muss überzeugen. Wie dies gelingen kann, zeigt das Beispiel von Remondis Aqua und der Küstenland Milchunion in Altentreptow.

(16.04.07) Konzentration auf das Kerngeschäft, Schonung eigener Kapital-Ressourcen, Entlastung des Managements, Verlagerung des Kosten- und Betriebsrisikos, Nutzung von Spezial-Wissen: Die Argumente dafür, dass Industrie-Betriebe Infrastruktur-Aufgaben wie das Wasser- und Abwasser-Management einem externen Dienstleister übertragen, sind ebenso zahlreich wie plausibel. Dennoch reichen sie offenbar nicht hin, um die Unternehmen in Scharen zu Contracting-Verträgen zu veranlassen.

Hinzukommen muss - als notwendige Vorbedingung - eine gehörige Portion Handlungsbedarf. Den hatte die Küstenland Milchunion Mecklenburg-Vorpommern GmbH (KMU) in ihrem Stammwerk in Altentreptow (Landkreis Demmin). Die Gesellschaft ist Tochter der Unternehmensgruppe Humana Milchunion (Everswinkel), die mit einem Umsatz von rund 2,8 Mrd. Euro zu den größten Milchverarbeitern weltweit zählt. KMU verarbeitet mit über 470 Mio. Kilogramm rund ein Drittel der in Mecklenburg-Vorpommern erzeugten Milch zu Schnittkäse in Altentreptow sowie zu Camembert in Bergen (Rügen).

Bis Anfang 2004 hat die Küstenland Milchunion ihr Altentreptower Werk für über 21 Mio. Euro modernisiert und dabei ihre Kapazität auf rund 40.000 Tonnen Käse pro Jahr verdoppelt. Anschließend entstand am gleichen Standort ein Veredelungswerk für Molke der Wheyco GmbH, ein Joint Venture von Humana Milchunion und Nordmilch eG (Bremen). Es verarbeitet täglich mehrere Millionen Liter Molke - ein Nebenprodukt der Käseerzeugung - und stellt damit pro Jahr rund 80.000 Tonnen Molke-Spezialitäten her, etwa für Fitness-Drinks oder Kosmetik-Produkte. Investitionsvolumen: rund 42 Mio. Euro.

Konsequenz der Kapazitätsexpansion am Milchverarbeitungs-Standort Altentreptow: Die alte werkseigene Kläranlage der Küstenland Milchunion schaffte die nun bis zu 2.500 Kubikmeter organisch hoch belasteten Abwässer pro Tag nicht mehr. Da war er also, der Handlungsdruck, das Abwasser-Management grundlegend neu auszurichten. Der führte allerdings noch nicht automatisch dazu, sich einen Contracting-Partner zu suchen. Dazu bedurfte es erst der Überzeugungsarbeit eines erfahrenen Abwasser-Dienstleisters, der Remondis Aqua GmbH und Co. KG (Lünen).

Denn ursprünglich dachte KMU gar nicht daran, ihre Abwasserbehandlung in die Hände eines Externen zu legen. Gegenstand der Ausschreibung war lediglich der Anlagenbau. Die hat Remondis auch bedient. Allerdings: "Unsere Dienstleistung endet nicht mit dem Anlagenbau. Wir wollen im Rahmen einer Betriebsführung langfristig die Gewährleistung für das Funktionieren der Technik übernehmen, und das zu einem garantierten Preis", so Dr. Lars Meierling, Geschäftsführung der Remondis Aqua.

Deshalb machte sich der Lünener Dienstleister zunutze, dass Industrie-Ausschreibungen, anders als bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, größere Spielräume für Optionen lassen. Und die bevorzugte Option, mit der Remondis schließlich im Herbst 2005 den Zuschlag erhielt, hieß Contracting. Meierling: "Wir haben unserem Angebot bezüglich des Anlagenbaus einen konkreten Betreiber-Vertrag inklusive aller Konditionen für den Betrieb der Anlagen beigefügt".

Mit dem Angebot des Contracting-Modells hatte Remondis auf einmal die erste Alleinstellung gegenüber den Mitbewerbern. Das allein reichte jedoch nicht. "Wir mussten vor allem mit unserem technischen Konzept überzeugen", so Lars Meierling. Das sah, neben der Modernisierung der bestehenden Klärtechnik, die nach dem Aerob-Verfahren vom Typ SBR (Sequencing Batch Reactor) arbeitet, vor, eine anaerob, also unter Ausschluss von Sauerstoff arbeitende Abwasserbehandlungsstufe vorzuschalten.

Die Anaerob-Technik eignet sich besonders für organisch stark belastete Abwässer. Und die organische Belastung der Abwässer aus Käseproduktion und Molke-Veredelung in Altentreptow entspricht der einer Stadt mit mehr als 110.000 Einwohnern. Vorteile dieses Verfahrens sind, dass keine Energiekosten für die Belüftung des Abwassers und nur geringe Mengen an teuer zu entsorgendem Überschuss-Schlamm anfallen. Vor allem aber entsteht in diesem Prozess Biogas, überwiegend in Form von Methan, aus dem in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) wiederum Strom und Wärme erzeugt werden kann. Hierfür sorgen spezielle Bakterien, deren Stoffwechsel nur unter Sauerstoff-Ausschluss funktioniert.

Bei allen Vorzügen, einen Nachteil kann die Anaerob-Technik jedoch haben: Der Prozess ist nicht mehr so bedenkenlos zu beherrschen wie bei aeroben Verfahren. So reagiert er beispielsweise sensibel auf Temperatur- und pH-Wert-Schwankungen. Stören können auch Feststoffe, Fette oder anorganische Stoffe, etwa Kalzium, aus der Milchverarbeitung.
Die Argumentation, dass Remondis Aqua aufgrund der Erfahrungen aus einer Vielzahl vergleichbarer Projekte gerade vor dem Hintergrund der oftmals sensiblen biologischen Prozesse als Betriebsführer die richtige Wahl sei, war schlüssig, reichte dem Auftraggeber jedoch nicht. "Auch die Küstenland Milchunion hat Experten im Bereich der Abwasserbehandlung, die seit Jahren die Abwässer der Käserei zuverlässig reinigen", so Lars Meierling.

Als Bauherr und Betreiber eines Blockheizkraftwerkes hat sich das Milch verarbeitende Unternehmen jedoch nicht gesehen. Andererseits könnte sich das Unternehmen mit dieser technischen Variante ein Stück weit unabhängig vom regionalen Energieversorger machen, warb Remondis Aqua und bot an, den Bau und Betrieb des BHKW selbst zu übernehmen. "Das war", so Lars Meierling, "sicherlich mit entscheidend dafür, dass wir den Auftrag erhalten haben."

Mit noch einer Besonderheit wartete das technologische Konzept von Remondis Aqua auf, die Wiedergewinnung von Phosphor aus dem Abwasser. Eingesetzt wird hierzu das Verfahren der so genannten MAP- oder Magnesium-Ammonium-Phosphat-Fällung. Es basiert auf einer Kristallisationsreaktion dieser gelösten Inhaltstoffe bei pH-Werten von 8,5 - 8,7. Heraus kommt ein pflanzenverfügbares Produkt, das ohne weiteres als Düngemittel eingesetzt werden kann. Diese gezielte MAP-Fällung direkt aus dem Abwasser ist derzeit deutschlandweit einmalig und stellt, so Dr. Lars Meierling, "quasi ein Pilotprojekt im großtechnischen Maßstab dar."

Die gesamten modernisierten und neuen Abwasserbehandlungsanlagen sowie das Blockheizkraftwerk sind Anfang September 2006 offiziell in Betrieb genommen worden, dies nach einer Bauzeit von nur einem dreiviertel Jahr und zeitgleich mit dem neuen Molke-Veredelungswerk.

Die Abwasserreinigung ist ausgelegt für eine Menge von 2.500 Kubikmetern pro Tag, bei einem Wert für den Chemischen Sauerstoffbedarf (CSB) von 5.400. In der Planung wurde ein CSB-Abbaugrad von mindestens 75 Prozent angesetzt. Entsprechend wird mit einer täglichen Gasproduktion von mindestens 3.240 Kubikmeter Methan gerechnet.
Das Bio-Gas wird im Blockheizkraftwerk mit Hilfe eines Otto-Motors in Strom umgewandelt. Das BHKW verfügt über eine Brennstoffleistung von 1,7 Megawatt (MW). Der gewonnene Strom wird ins öffentliche Netz eingespeist und gemäß der Verrechnungssätze des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) für Strom aus Biomasse mit mindestens 8,64 Cent pro Kilowattstunde (kWh) vergütet.

Die bei der Verbrennung des Biogases frei werdende Wärme wird über einen Wärmetauscher zur Aufheizung des Abwassers im Anaerob-Reaktor genutzt. Denn die Zulauftemperatur des Abwassers aus Käserei und Molkeverarbeitung liegt lediglich bei rund 20 °C, benötigt werden für die Biogas-Produktion jedoch rund 32 °C.

Auch die Phosphor-Rückgewinnung mittels MAP-Fällung ist angelaufen. Jetzt gelte es erst einmal Erfahrungen zu sammeln, so Dr. Lars Meierling. Die Auslegungsplanung geht von etwa vier Kubikmeter MAP-Schlamm pro Tag aus, der zunächst noch zusammen mit dem anfallenden Klärschlamm in der Landwirtschaft verwertet wird.

Grundsätzlich könne das MAP-Produkt auch der Düngemittel-Industrie angedient werden, so Meierling. Dies sei aber erst möglich, wenn es in größeren Mengen zur Verfügung stehe. Auch müssten noch die Qualitätsanforderungen und technischen Rahmenbedingungen geklärt werden. Derzeit versucht Remondis Aqua in Zusammenarbeit mit Universitäten und Umweltbehörden die Bedingungen und Wege der Verwertung für den MAP-Dünger zu erforschen.

Betrieben werden die weitgehend automatisch arbeitenden Abwasseranlagen sowie das BHKW von Remondis mit eigenem qualifiziertem Personal. In regelmäßigen Meetings tauschen sich die zuständigen Mitarbeiter beider Vertragspartner über Anforderungen und besondere Vorkommnisse in Käse-Produktion und Abwasserbehandlung aus. In Verbindung mit einem monatlichen Bericht wird "unser Kunde so in die Lage versetzt, jederzeit unsere Dienstleistung überprüfen zu können", so Meierling. Dabei geht es unter anderem um die Einhaltung der Zielwerte der Direkteinleiter-Genehmigung. Eingeleitet werden die gereinigten Abwässer direkt in die Tollense, ein idyllischer Fluss, der die vorpommersche Flusslandschaft sowie die mecklenburgische Schweiz durchfließt und in die Peene mündet.

Für den Betrieb der Anlagen erhält Remondis in monatlicher Abrechnung ein festes Entgelt. Darin enthalten sind im Wesentlichen die Kapitalkosten für das Blockheizkraftwerk, die Kosten für den reinen Betrieb (z.B. Chemikalien, Personal, Analytik) sowie Aufwendungen für Reparatur, Wartung und Instandhaltung.

Die gesamten Abwasseranlagen sind Eigentum der Küstenland Milchunion. Das BHKW steht in der Bilanz von Remondis Aqua. Günstig auf die Wirtschaftlichkeit des Projektes wirkt sich aus, dass durch die Vorschaltung der anaeroben Behandlungsstufe der spezifische Stromverbrauch von etwa 0,7 auf 0,5 kWh/kg CSB gesenkt werden konnte.

Der entscheidende wirtschaftliche Vorteil des Konzeptes liegt jedoch in den Erlösen aus der Stromeinspeisung ins öffentliche Netz. Diese liegt in der Größenordnung von bis zu 400.000 Euro pro Jahr. Davon erhält Kunde Küstenland Milchunion einen vertraglich garantierten festen Betrag. Und der ist, so Dr. Lars Meierling, angesichts der gegenwärtigen Wettbewerbssituation beträchtlich.
Unternehmen, Behörden + Verbände: Remondis Aqua GmbH & Co. KG, Lorenz Snack-World (Neunburg v. W.), MAN Nutzfahrzeuge (München), BASF Coatings (Münster) und Pilkington (Witten), Humana Milchunion (Everwinkel/NRW), Humana Milchunion
Autorenhinweis: Heinz-Wilhelm Simon, Berlin



Copyright: © Deutscher Fachverlag (DFV)
Quelle: März/April 2007 (April 2007)
Seiten: 4
Preis: € 0,00
Autor: Heinz-Wilhelm Simon
 
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